Elektronisches Hirn
am Steuer
Informatiker der Universität konstruierten ein Roboter-Fahrzeug,
das eigenständig Gelände erkunden kann
In einem kleinen dunklen Büro sitzen fünf Männer um einen Tisch herum. "Nach dem Umbau wird er sich anders verhalten", sagt Stefan Thamke. Sie reden über einen Kompass und Bremsen. Was im Fernsehen heute "pimpen" heißt, ist für diese Männer der Ideenaustausch.
Die Studenten der Angewandten Informatik (mit Anwendungsfach Elektrotechnik) und Professor Klaus-Dieter Kuhnert sind ein Teil des Projektes "Amor". Mit weiteren Studenten und dem Doktoranden Wolfgang Seemann haben sie ein Fahrzeug entwickelt, das ferngesteuert oder alleine durchs Gelände fahren kann. Bei der Roboter Europameisterschaft Elrob (European Land-Robot Trial) im schweizerischen Monte Ceneri haben sie im autonomen Fahren den ersten und beim ferngesteuerten Parcours den zweiten Platz belegt.
Der Roboter musste orangefarbene Gefahrgutschilder finden, die man etwa von Tanklastern kennt, und deren Position mit GPS-Daten angeben. Die Siegener fanden die meisten. Die schlaflosen Nächte wurden mit Erfolg gekrönt. "Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass wir auf die vorderen Plätze kommen", sagt Professor Kuhnert. Dass sie dann wirklich ganz vorne lagen, überraschte ihn aber doch. Der Grundgedanke des Teams hatte sich durchgesetzt: "Wir wollten nicht das ausgefeilteste System entwickeln. Die Robustheit lag im Vordergrund."
Als sich Amor im August durch das verregnete Gelände bewegte, lagen drei Jahre Arbeit hinter der Gruppe. Es hatte mit der Idee von Klaus-Dieter Kuhnert begonnen, ein Projekt anzubieten, das sich praxisnah mit seinem Fachgebiet Bildverarbeitung befasst, attraktiv für die Studenten ist und einen hohen Forschungswert hat ( Hintergrund). Wolfgang Seemann betreute und organisierte Amor als Doktorand. Unter Mithilfe der ersten Studentengruppe dauerte es rund ein Jahr, bis das Fahrzeug von einem Computer angesteuert werden konnte.
Im zweiten Jahr folgte mit dem nächsten Team die Elektronikentwicklung. Für jeden Sensor - sie sind die Augen Amors - wurde ein Microcontroller eingebaut. 13 Stück waren es am Ende. Ein Laserscanner tastet das Gelände ab, Kameras schauen sich um und mit GPS erfolgt die Ortung. Die bislang letzte Studentengruppe beschäftigte sich mit der Softwareentwicklung. Denn das Fahrzeug sollte nicht nur sehen sondern auch verstehen können. "Wir waren nach zwei Jahren die erste Gruppe, die alle Systeme zusammen benutzen konnte und mit dem autonomen Fahren begann", erklärt Stefan Thamke. Um die Problemlösungen kümmerten sich die Studenten eigenständig. "Ich wollte, dass sie Verantwortung übernehmen", erklärt der Professor. "Nur wenn jemand kompletten Unsinn vorschlägt, wollte ich eingreifen." Das funktionierte. "Ich habe in dem letzten Jahr mehr gelernt, als in den drei Jahren zuvor", sagt Matthias Benkendorf. Der 24-Jährige befindet sich wie die anderen jungen Männer im Hauptstudium.
Die Arbeit bei der Softwareentwicklung war klar aufgeteilt. Michael Halberstadt kümmerte sich um den Laserscanner, der die Landschaft erfasst. Stefan Görke verarbeitete die Daten in der lokalen Wegplanung. "Letztendlich wurde es auf die Information reduziert, ob ein Hindernis befahrbar oder nicht befahrbar ist", erklärt der 26-Jährige. "In vielen Punkten ist es rudimentärer geworden, als wir es gewünscht hatten." Aber andere teilnehmende Universitäten hätten mitunter so viele Ideen in ihrem Roboter unterbringen wollen, dass das Gesamtsystem nicht mehr reibungslos lief, so Görke. "Die Einfachheit war der Schlüssel", erklärt Stefan Thamke den eigenen Erfolg. Thamke war unter anderem für die Ultraschallsensoren zuständig. Sie berechnen Entfernungen zu Hindernissen. "Ich habe die Software so programmiert, dass Amor reflexartig reagiert, wenn er auf eine Barriere trifft", erklärt der Student. Matthias Benkendorf entwickelte die Software für die Fernsteuerung und absolvierte im Wettbewerb den Parcours.
Einsatzgebiete für einen Roboter wie Amor könnte etwa die Kontrolle von großen Fabrikanlagen sein, auf denen nicht überall Kameras installiert werden können, erklärt Klaus-Dieter Kuhnert. "Er kann auch ein Gelände erkunden und davon eine Karte anlegen." Das wird in den nächsten Schritten des Projektes noch perfektioniert, wenn neue Systeme eingebaut werden.
Amor ist in Modulen angelegt, die einzeln verbessert werden können. Unter anderen sollen eine PMD-Kamera, die dreidimensionale Abbildungen liefert, und ein Stereo-Kamera-System eingebaut werden. "Wir wollen die Umgebungsbeschreibung optimieren, damit wir auch die interessanten Probleme wie Abhänge, Spalten und Gräben lösen können", sagt Klaus-Dieter Kuhnert.
Keine Tötungsmaschine
Mit Hilfe einer Spielesoftware soll dann nicht nur eine Karte sondern ein komplettes 3D-Modell der durchfahrenen Landschaft erstellt werden können. Dieses Modell soll auch physikalische Eigenschaften wie etwa die Glattheit von Oberflächen beschreiben. "Es gibt Leute, die Ähnliches schon machen", sagt der 53-jährige Professor. "Aber so wie wir es jetzt angehen, sind wir mit der Forschung weit vorne mit dabei."
Nächstes Jahr wird es auch wieder eine Elrob geben, die nach der zivilen in diesem Jahr militärisch ausgerichtet ist. Der Professor fragte die Studenten, ob sie trotz des Einsatzgebietes mitmachen wollen. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen, aber letztendlich ändere sich nichts an ihrer Arbeit, erklären die vier Männer. Es gehe immer um Erkundung und Transport. Auch Professor Klaus-Dieter Kuhnert sieht es pragmatisch, denn die Roboter seien doch immer vielseitig einsetzbar. Nur eine Sache ist für ihn klar: "Ich würde keine Maschinen bauen, die Menschen vernichten sollen."
HINTERGRUND
In 20 Jahren könnten wir die Lenkräder loslassen
1986 fuhr ein autonomes Fahrzeug
100 Stundenkilometer
auf der Autobahn. In ihm steckte ein System von Klaus-Dieter
Kuhnert. 1989 promovierte er
an der Universität der Bundeswehr
in München mit einem
Bildverarbeitungssystem für
ein autonomes Fahrzeug. Kuhnert
ging dann nach Japan und
arbeite für einen Autokonzern.
1996 wurde er an den Lehrstuhl
in Siegen berufen. Auch
wenn es in der Industrie mehr
Geld für die Forschung gibt,
entschied er sich bewusst für
die Universität. „Ich bin vor allem
am Fortschritt interessiert
und an der Universität gibt es
einfach mehr Freiräume.”
Aus seiner Arbeit in München
ging auch das europäische
Forschungsprojekt „Prometheus”
hervor, in dem neben
ABS viele Assistenzsysteme
entwickelt wurden, die
man in Autos findet. Die Forschung
mit dem autonomen
Fahren schlage sich immer in
den Assistenzsystemen nieder,
erklärt der Professor. Auch
wenn es heute schon möglich
wäre, ein Auto alleine fahren
zu lassen, scheitere die Umsetzung
an den Kosten und der
Frage nach der Haftung. Wer
ist Schuld, wenn das Auto im
autonomen Betrieb einen Unfall
verursachen würde? Ein
Computer kann nicht zur Verantwortung
gezogen werden.
Kuhnert rechnet jedoch damit,
dass in 20 Jahren Oberklassewagen
alleine ihren Weg finden
können. „Das autonome
Fahren wird sich stufenweise
aus den Assistenzsystemen
entwickeln.” Auch lernfähige Systeme werden zum Einsatz
kommen. „Irgendwann müssen
wir uns sicherlich fragen,
wie viel Verantwortung wir an
den Computer abgeben wollen”,
so Klaus-Dieter Kuhnert.
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Michael Halberstadt, Matthias Benkendorf, Stefan Görke und
Stefan Thamke (v. links)
waren im dritten Jahr des Amor-Projektes
mit der Softwareentwicklung beschäftigt.
Prof. Klaus-Dieter Kuhnert:
"Ich würde keine Maschinen bauen,
die Menschen vernichten sollen."
Fotos: Tim Meyer
Artikel als PDF-Datei
© Westfalenpost, 6. November 2007
Die Serie „Forschen in Siegen“ wurde in den Dokumentationsband „Ausgezeichnet - Deutscher Lokaljournalistenpreis 2007“ aufgenommen.
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