Fahrt durch den Kopf

Siegens Computergrafiker visualisieren medizinische Daten

Das Verborgene ans Licht zu bringen, ist nicht nur Sache von Psychotherapeuten und Bergarbeitern. Die Fachgruppe Computergrafik und Multimediasysteme macht aus medizinischen Daten schöne Bilder. Weil Grafikkarten immer leistungsstärker geworden sind und die Siegener Forscher passende Programme schrieben, kann man jetzt in Echtzeit durch bunte Schädel wandern.
Dr. Christof Rezk Salama bewegt einen Regler der grafischen Benutzeroberfläche und das grüne Gehirn verschwindet aus dem Schädel. Bewegt er einen anderen, tauchen rote Blutgefäße auf. Grundlage für dieses Visualisierungssystem sind Schichtbilder aus einem Computertomographen. Bei dem Forscher kommen sie als Rohdaten an und müssen zuerst spezifiziert werden. Denn später muss das Programm wissen, was Gehirnmasse, Gefäße oder Knochen sind.
„Die Idee hinter der Arbeit ist, dem Nutzer eine visuelle Oberfläche für seine Daten zu geben”, erklärt Christof Rezk Salama. So kann ein Chirurg mit dem „Volume Rendering” etwa komplizierte Eingriffe planen. Aber für den Grafiker ist es auch ein Reiz, das in den Daten Verborgene „schön” sichtbar zu machen. „Das Ästhetische spielt bei mir auch eine Rolle.”

„Das Ästhetische spielt bei meinen Visualisierungen auch eine Rolle",
sagt Dr. Christof Rezk Salama

Wenn die Computerspielindustrie nicht so erfolgreich wäre, könnten die Forscher an der Universität heute wahrscheinlich nicht auf solch leistungsstarke Grafikkarten zurückgreifen. Aber gerade diese sind nötig, um die komplexen Visualisierungen zu ermöglichen. So auch bei der Arbeit von Doktorand Nicolas Cuntz, der seit drei Jahren in Siegen forscht und lehrt. Auf seinem Bildschirm jagt immer wieder ein mächtiger Taifun in Asien hin und her. Seine Daten kommen vom deutschen Klimarechenzentrum und auch er programmiert eine Oberfläche, die Analysen von Wetterphänomenen vereinfachen soll. Um den Wind besser zu verstehen, ist es wichtig, ihn unter verschiedenen Voraussetzungen beobachten zu können. Dem Meteorologen ist es mit der grafischen Schnittstelle des Informatikers möglich, einzelne Parameter zu ändern und sofort zu sehen, wie der Taifun reagiert. Alles passiert in Echtzeit.
Nicolas Cuntz macht die Bewegungen mit virtuellen Partikeln sichtbar. Auch die Windstärke wird mit unterschiedlichen Farben angezeigt. Im Auge ist der Taifun dunkelrot. Wichtige Details für den Fachmann und bei der Visualisierung eine Herausforderung für den Grafiker. „Der technische Aspekt ist für uns das Interessantere und nicht so sehr der Einsatz”, erklärt Nicolas Cuntz. Aber natürlich kommuniziere er mit den Wetter-Fachleuten, denn im nächsten Schritt soll das Programm verbessert werden. Und dafür sind die Einwände der Meteorologen wichtig. „Von der Interaktivität sind sie schon angetan.”
Professor Andreas Kolb, Leiter der Fachgruppe Computergrafik und Multimediasysteme, erklärt, in den verschiedenen Forschungsgebieten gehe es immer wieder darum, Messdaten der menschlichen Wahrnehmung zugänglich zu machen. „Wir entwickeln damit für wissenschaftliche Nutzer ein Werkzeug”, erklärt Andreas Kolb. Und dieses Werkzeug erleichtere es, Prozesse oder komplexe Phänomene zu verstehen. Durch langjährige Erfahrung kann bei einem Arzt auch ein Röntgenbild im Kopf dreidimensional werden. Aber die Siegener bringen die räumliche Darstellung auch auf seinen Computer.
Christof Rezk Salama könnte sich vorstellen, dass sein Visualisierungssystem auch in populärwissenschaftlichen Sendungen zum Einsatz kommt. „Dort arbeitet man heute mit Leuten von Filmhochschulen zusammen, die sich auf Medizin spezialisiert haben und dann etwa Wirbelsäulen animieren”, erklärt er. Das sehe schön aus, habe aber nichts mit der Realität zu tun. Mit dem Volume Rendering könne man mit echten Daten arbeiten und etwas genauso Anschauliches produzieren. Es wäre eine Initiative für mehr Genauigkeit in einem Medium, das vor allem gut aussehen will. Dieses Anliegen vereinen die Siegener Computergrafiker. Sie produzieren schöne Bilder, die nicht nur bloße Oberfläche sind, sondern dazu beitragen, komplexe Zusammenhänge noch besser zu verstehen.

 

HINTERGRUND

Wissen vernetzen

Die Fachgruppe Computergrafik und Multimediasysteme gibt es seit Ende 2003 an der Universität. Geleitet wird sie von Professor Andreas Kolb, der 1995 in Erlangen promovierte. Mit den beiden Siegener Professoren Klaus-Dieter Kuhnert und Volker Blanz gründete Kolb auch das Institut für Bildinformatik. Gemeinsam bieten sie seit Wintersemester 2006/ 2007 einen eigenen Studiengang Bildinformatik an. In dem Institut vernetzen sich die Fachbereiche der drei Forscher: Computergrafik, Bildverarbeitung und Computersehen. So arbeiten sie etwa gemeinsam an Projekten mit der PMD-Kamera (Photo-Misch-Detektor). Die Kamera kann Objekte dreidimensional abbilden und könnte etwa bei der Sortierung von Teilen auf einem Fließband zum Einsatz kommen.

Das ist kein Spiegelbild. Dr. Christof Rezk Salama baut aus
Schichtbildern eines Computertomographen Visualisierungen,
die in Echtzeit verändert werden können.

 

Professor Andreas Kolb: „Wir bereiten Daten auf,
damit andere damit arbeiten können.”
Fotos: Tim Meyer



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© Westfalenpost, 27. Oktober 2007

Die Serie „Forschen in Siegen“ wurde in den Dokumentationsband „Ausgezeichnet - Deutscher Lokaljournalistenpreis 2007“ aufgenommen.