"Hier war das Ende der Entwicklung"

20 Jahre Mauerfall: Die Folgen der Zonenrandförderung in Helmstedt und Haldensleben

Blühende Landschaften, überall. Gelb leuchtend steht der Raps aufrecht auf den Feldern. Im Niedersächsischen Helmstedt und ein paar Kilometer weiter Richtung Osten, in Haldensleben, im Börder Landkreis. Aber das hatte Altkanzler Kohl wohl nicht gemeint, als er diese Metapher einst prägte. Blumen wachsen auch, wenn sich Politiker nicht einmischen.
Jörg Pohl kann seine Stimme sehr druckvoll machen, wenn er Emotionen zeigen will. Und ein Mal haut er auf den Tisch. Man glaubt ihm sofort, dass er persönliche Betroffenheit spürt. Der 46-Jährige ist Wirtschaftsförder im Landkreis Helmstedt und sagt, er sähe kein Licht der Hoffnung, wenn es um die finanzielle Situation geht. „Die Sozialkosten erschlagen uns jegliche investive Möglichkeit. Wir müssen zusehen, wie das Schiff untergeht und können nichts dagegen tun.“
Vor einigen Jahren sah das noch anders aus. Helmstedt gehörte zu den Städten, die von der Zonenrandförderung profitierten. 1965 wurde diese zu einem Grundsatz der Raumordnungspolitik gemacht, 1971 verabschiedete der Bundestag schließlich das Gesetz zur Förderung des Zonenrandgebietes und stellte finanzielle Hilfen für einen rund 40 Kilometer breiten Streifen an der DDR-Grenze bereit. Im Zonenrandförderungsgesetz heißt es, die Leistungskraft des Zonenrandgebietes sei bevorzugt zu stärken, um die Auswirkungen der Teilung Deutschlands auszugleichen.
„Wenn man von Braunschweig Richtung Osten fuhr, wurde es dunkel“, sagt Jörg Pohl. „Hier war das Ende der Entwicklung.“ Bei der Zonenrandförderung sei es darum gegangen, die Menschen vorm Abwandern abzuhalten. Angezogen von den finanziellen Hilfen hätten sich dann vor allem verlängerte Werkbänke angesiedelt, Dependancen von Unternehmen, die einfache Fertigungen verrichten ließen, Autozulieferer. Aber Helmstedt blieb geprägt von einer Monostruktur: Bergbau und eben Automobilindustrie.
„Die Zonenrandförderung hat den Standort stabilisiert“, sagt Jörg Pohl. Aber seit Mitte der 80er Jahre sei es trotzdem mit den Arbeitsplätzen abwärts gegangen. Ein Jahrzehnt zuvor hätten Planer schon darauf hingewiesen, man müsse den Strukturwandel einleiten, da der Bergbau irgendwann zu Ende gehe. „Aber auf die Planer hörte man nicht, sondern kuschte gegenüber den Unternehmen.“ Doch ohne eigene Ideen und eine Portion Selbstbewusstsein komme man eben nicht weit.
Jörg Pohl fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. Aber er habe wohl in der Vergangenheit auch nicht rüberbringen können, dass man etwa mit den freigesetzten Menschen aus dem Bergbau etwas anderes hätte machen können, als sie in einen Sozialplan zu stecken, erklärt er. Das seien Leute, mit denen man Landschaft gestalten, den Strukturwandel einleiten und Freizeitparks bauen könne. „Mir kam das manchmal so vor, als sagten sich die Entscheider, was will der langhaarige Zottel da eigentlich“, sagt Jörg Pohl.
Bis 1994 wurde die Zonenrandförderung komplett heruntergefahren. Für den Wirtschaftsförderer ein „Kinderstreich“. Eine Zeit lang sei Helmstedt dann auch noch aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) herausgefallen, erklärt Jörg Pohl mit einem Kopfschütteln. So sei schließlich ein Vakuum entstanden, weil ein paar Kilometer weiter in Sachsen-Anhalt eine neue Fördersituation aufgebaut wurde. „Das sorgt nicht für Solidarität und Zusammenhalt“, habe er schon damals gedacht.
Heute meint er, der Solidaritätsbeitrag und die Einteilung der Fördergebiete müssten grundsätzlich reformiert werden. Hier werde doch nach einem Gießkannenprinzip gearbeitet und dann stünden trotzdem irgendwann die Gewerbegebiete östlich von Helmstedt leer. Natürlich gehe es um Solidarität, klar gebe es im Osten eine hohe Arbeitslosigkeit, aber der Solidaritätsbeitrag gehöre für ihn vom Tisch und es müsse eine feinere Instrumentierung für die Förderung geben.
Und dann denkt er an die blühenden Landschaften, die er hier in seinem Landkreis auch nie gesehen habe. Ja, vielleicht sei es jetzt schon zu spät für den Landkreis Helmstedt, wenn man die sozio-ökonomischen Perspektiven betrachte. Wenn eine Region keine Lobbyisten habe, werde sie womöglich ganz aufgegeben. „Wenn wir noch einmal 20 Jahre so weiter machen, dann hat man gut funktionierende Strukturen sehenden Auges vernichtet.“
Eine halbe Stunde mit dem Auto Richtung Osten. Haldensleben, Sitz der Verwaltung des Landkreis Börde. Reinhard Hevekerl, Leiter im Amt für Wirtschaftsförderung, begann direkt 1990 seine Arbeit. „Das war hier eine rasante Entwicklung.“ Damals sei es ein Vorteil gewesen, dass Gewerbegebiete schnell erschlossen werden konnten. „Bei anderen stand ein Schild ‚Hier entsteht ein Gewerbegebiet‘ und bei uns konnten die Investoren gleich erschlossene Grundstücke erwerben.“ Heute liege deren Auslastung bei rund 70 Prozent.
Reinhard Hevekerl kann die Probleme, die Jörg Pohl aufgrund der unterschiedlichen Fördersituationen erkennt, nicht nachvollziehen. „Unsere schwachen Regionen müssen auch kämpfen. Helmstedt hat doch gut gelebt“, sagt der Wirtschaftsförderer und grinst ein wenig. Was er damit meint, will er aber nicht erklären.
Aber so gut wie im Landkreis Börde sehe es eben nicht überall in Sachsen-Anhalt aus. Und seine Kollegin Bärbel Volkmann fügt hinzu: „Wir wollen nicht in Ossi-Jammerei verfallen, aber auch beim Gehalt gebe es noch keine Einheit von alten und neuen Bundesländern.“
Trotzdem sehen die beiden nicht eine neue Grenze in den Köpfen der Menschen entstehen. Gerade in den Dörfern an der ehemaligen Grenze gebe es einen guten Austausch. Die Menschen fahren zum Einkaufen nach Helmstedt und die Helmstedter bringen mitunter ihre Kinder in Tagesstätten nach Sachsen-Anhalt. „Wir sehen im Landkreis Börde durchaus blühende Landschaften, nicht nur den blühenden Raps“, sagt Bärbel Volkmann.

 

 

ddp, Mai 2009