„So cool ist Ruhm nicht“

Alexandra Müller über ihren „Kleinen Hai“, den Ausflug in die Welt der Ballermann-Hits und eine fast geglückte Unterwanderung des Pop-Kultur-Systems

HILDESHEIM. Eigentlich war der „Kleine Hai“ nur ein Spaß am Rande einer Silvester-Feier. Eine Kamera angestellt, ein altes Kinderlied gesungen und das Video auf YouTube hochgeladen. Monate später brach plötzlich eine Erfolgswelle los, die das Lied sogar in die deutschen Charts spülte. Im Interview spricht Alexandra Müller über die Pop-Industrie, die negativen Seiten des Ruhms und die Intoleranz von Intellektuellen.

Frage: Sie tourten einen Sommer lang durch deutsche Discos und traten neben Mickie Krause, der mit Liedern wie „10 nackte Friseusen“ oder „Finger im Po - Mexico“ bekannt wurde, auf Mallorca auf. Ein hartes Pflaster für eine Kulturwissenschaftlerin?
Alexandra Müller: Immer die Rampensau zu sein, fiel mir nicht sehr leicht. Aber wenn 500 Leute im Publikum stehen und mitmachen, ist das ein geiles Gefühl. Ich mag das Lied ja so, weil man sich gehen lassen und Spaß haben kann. Und die Kulturwissenschaftlerin in mir liebt die Pop-Kultur und jetzt war ich eben ein Teil davon. Nach außen war das von mir auch wenig ironisch gebrochen. Aber ich habe viel Schauspiel gemacht und weiß, wie man zwischen einer Rolle und dem Privatleben trennt.

Haben Sie deswegen am Anfang die Kunstfigur Alemuel, eine 18-jährige Schülerin, gespielt?
Müller: Ja. Ich wollte eigentlich so eine Helge-Schneider-Figur kreieren, die ich über einen längeren Zeitraum durchhalten kann.

Also war es von Ihnen als Unterwanderung des Systems gedacht?
Müller: Teilweise schon. Aber es hat sich nicht wirklich wie eine Unterwanderung angefühlt. Ich bin ja nicht Günter Wallraff. Es war für mich eher Performance-Art und ich habe natürlich als Kulturwissenschaftlerin die Strukturen und mich selbst beobachtet, um zu schauen, was passiert. Doch letztendlich ist der kleine Hai an sich einfach keine Kunst. Das ist Spaß und Trash.

Dann deckte die BRAVO Ihre wahre Identität auf.
Müller: Die Leute wollten einfach wissen, wer hinter diesem Mädchen mit dem grünen Pullover steckt. In dem Moment, als die Alemuel-Lüge aufgeflogen ist, wurde schon die Medienkritikerin in mir wach. Die Redakteure der BRAVO hatten andere Performances von mir im Internet entdeckt, kannten meinen echten Namen und dann gab es diesen blöden Artikel: „Alemuel hat alle verarscht“. Ich musste in der BRAVO ein Offenbarungsinterview geben und der Typ ist mich dabei ständig angegangen und fragte, ob ich mich nicht schämen würde. Ich dachte nur, kühl mal runter. Die BRAVO hat das auch an die BILD verkauft.

Ein Kontrollverlust?
Müller: Man steckt in diesen Strukturen und dann verselbstständigen sich die Sachen. Als ich noch Alemuel war, wollte mich RTL zu Hause besuchen, meine Eltern und meine Freunde treffen. Die Reporterin wurde richtig pampig, als ich erklärt habe, dass ich das nicht möchte. Ich dachte, warum soll ich jetzt mein Privatleben ausbreiten, ich habe doch nur ein Video auf YouTube hochgeladen. Von den Boulevardmedien wird kaum Rücksicht genommen. Persönlichkeitsrechte interessieren die wenig.

Haben Sie sich so gefühlt, als würde hier eine Idee, die als Spaß begann, ausgeschlachtet?
Müller: Nicht von Seiten des Managements und der Plattenfirma. Es war von Anfang klar, dass ich immer gefragt werde, ob ich etwas machen will. Natürlich ergaben sich Verpflichtungen und es ging der Plattenfirma natürlich ums Geldverdienen. Aber menschlich war die Zusammenarbeit sehr angenehm und es entstand nie das Gefühl, ausgebeutet zu werden. Ich steckte in keiner „Deutschland sucht den Superstar“-Verwertungsmaschine.

Aber es war eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte?
Müller: Viele auf YouTube schreiben in ihren Kommentaren, heute könne jeder Depp berühmt werden, und Erfolg habe nichts mehr mit Leistung zu tun, sondern allein mit Zufall. Viele sind einfach perplex, dass Quatsch heute berühmt macht. So denke ich ja auch über „Deutschland sucht den Superstar“.

Kritisieren Sie das System, von dem Sie ein Teil waren?
Müller: Ich habe mich immer dagegen gewehrt, auf die Menschen und diese Kultur herunterzuschauen, auch wenn ich immer deutlich gemacht habe, dass ich sonst andere Musik höre. Intellektuelle begegnen dem Ganzen oft mit Arroganz. Aber nur weil ich Wagner höre, bin ich nicht etwas Besseres. Mir käme es wie ein Verrat vor, wenn ich mich jetzt hinstellen und die Fans des kleinen Hais als Idioten darstellen würde.

Relativiert sich der Blick auf Boulevard und die Party-Pop-Kultur, wenn man selbst ein Teil davon ist?
Müller: Ich bin diesem ganzen Mallorca-Ding gegenüber wesentlich toleranter geworden. Auch wenn ich nie wieder zum Ballermann fahren werde. Ich habe gemerkt, dass viele von denen, die in diesem System stecken, viel aufgeschlossener gegenüber anderen Lebensentwürfen sind, als es etwa einige meiner Bekannten waren. Die Mallorca-Kultur hält genauso viele kluge Menschen bereit wie zum Beispiel ein Theater.

Wie beurteilen Sie die Erfolge anderer Künstler wie etwa die Arctic Monkeys, die aufgrund ihres MySpace-Profils sehr bekannt geworden sind?
Müller: Ich bin ein Freund der Open-Soure- und Creative-Commons-Bewegung, die ihre Produkte und ihr kreatives Schaffen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, damit es weiter genutzt wird. Das finde ich super. Wenn man sagt, man will in den Markt rein und Geld verdienen, passiert das aber meistens nur aus Zufall. Die Arctic Monkeys sind eben ein besonderer Glücksfall.

Sollten sich Kunstschaffende vom Marktdenken freimachen?
Müller: Ja, das finde ich gut. Es gibt viele spannende Sachen, die aber auf dem Markt keine Chance haben. Wenn man sie vom Markt trennt, passiert wenigstens etwas. Aber hier schlagen zwei Herzen in meiner Brust, weil ich natürlich Geld mit den Sachen verdienen möchte, die ich liebe. Aber manches entfaltet sich eben viel besser, wenn man es erst mal vom Markt runternimmt.

Wie viel Geld haben Sie denn mit dem Charterfolg und den Auftritten verdient?
Müller: Mir bleiben am Ende wahrscheinlich um die 5000 Euro. Von der CD wurden zwar viele verkauft, aber davon bekomme ich nur Cent-Beträge. Dagegen werden die Auftritte gut bezahlt. 450 Euro für zehn Minuten finde ich schon ganz okay (lacht). Am Anfang hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass Geld anzunehmen, weil das überhaupt nicht meiner Vorstellung von Arbeit entsprach. Aber nur wegen des Geldes hätte ich das nicht gemacht. Dafür ist mir die Disco-Welt zu fremd.

Dafür bleibt Ihnen der Ruhm.
Müller: Ich habe einen jungen Mann in meinem Alter kennen gelernt, der macht Mallorca-Lieder und findet es einfach nur geil, auf der Bühne zu stehen. Wenn Leute süchtig nach Ruhm werden, machen sie viel Quatsch mit und werden von der Industrie abgespeist. Ich denke, so cool ist Ruhm nicht. Ich war auch in einer Oliver-Geißen-Show, in der es um Ruhm ging. Dort war auch ein ehemaliges Germany’s Next Topmodel und sie erzählte, wie toll das alles sei. Sie liebt eben Ruhm und hat gemachte Titten (lacht). Mein Standpunkt war: Ich bin froh, wenn alles wieder vorbei ist.

Müsste den Kandidaten der Castingshows also immer auch Medienkompetenz vermittelt werden?
Müller: Auf jeden Fall. Ich finde es viel zu früh, wenn jemand mit 16 Jahren in eine Show geht und noch gar nicht weiß, wer er selbst ist. Der bekommt schnell eine Rolle aufgepresst, wird ein paar Jahre benutzt und muss dann sehen, was aus ihm wird. Ich hatte das Gefühl, immer die Fäden in der Hand zu haben. Und wenn ich den grünen Pulli ausgezogen hatte, war ich wieder Alexandra Müller, weil ich weiß, wer ich bin.

Was wollen Sie denn jetzt aus all diesen Erlebnissen machen?
Müller: Ich plane, über meine Erfahrungen ein Buch zu schreiben und spreche gerade mit einem Verleger. Ich habe ganz viel Tagebuch geführt und Artikel gesammelt. Es soll eine Mischung aus Dokumentarbericht und Reflexion werden.

 

HINTERGRUND

Berühmt wird man,
wenn die Gemeinschafft es will

Im September 2006 entpuppte sich Lonelygirl15 als eine Erfindung von einem Produzenten-Team. Über Monate hatten ihre Fans die Videos der amerikanischen Teenagerin auf YouTube verfolgt. Wie einem Tagebuch erzählte sie der Kamera von den streng religiösen Eltern und ihrer Einsamkeit. Alles falsch, alles gespielt.
Der junge Amerikaner Gary Brolsma wurde bekannt, weil er auf YouTube lippensynchron den moldawischen Popsongs „Dragostea din Tei“ sang. Später bekam er einen Werbevertrag für kabellose Kopfhörer. In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren Lieder wie „Wo bist du, mein Sonnenlicht?“ oder „Schnappi, das kleine Krokodil“ erfolgreich, weil sie sich zuerst über das Internet verbreitet hatten und anschließend von Plattenfirmen veröffentlicht wurden.
Mittlerweile nutzt die Industrie diese Erkenntnisse gezielt und platziert ihre Werbung, die gar nicht als solche erkannt wird, in sozialen Netzwerken. Dabei sind es oft nur geheimnisvolle Informationen, die das Interesse an einem Produkt schüren sollen. Die Idee dahinter ist, dass Diskussionen in Blogs und Internetforen viel mehr Menschen erreichen als klassische Werbung. Das nennt man virales Marketing.
Selbst Sozialwissenschaftler, Ökonomen und Mathematiker sind vom „Herding“, wie das herdenähnliche Verhalten in sozialen Verbünden oft bezeichnet wird, fasziniert. Riley Crane, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich über das Massenverhalten und die Prognose gesellschaftlicher Handlungen in Verbindung mit physikalischen Modellen forscht, stellte fest, dass bei YouTube anhand der Tendenz der Klickraten eines Videos abgelesen werden kann, ob das Stück bald zu einem Massenphänomen werden wird. Die Erkenntnisse sollen in Zukunft als weiteres Marketinginstrument auf anderen Internetplattformen benutzt werden, um Produkte, die damit als vielsprechend erkannt werden, noch stärker zu bewerben.
Als Alexandra Müller irgendwann Anfang 2007 ihr „Kleiner Hai“-Video auf YouTube (www.youtube.com/user/alemuel) hochlud, kannte sie sicherlich Lonelygirl15 und Schnappi. Sie wusste, was mit einem Video auf der Internetplattform passieren kann. Dass sie aber eineinhalb Jahre später mit dem Kinderlied auf den Bühnen der deutschen Diskotheken stehen, bei The Dome und auf Mallorca auftreten würde, damit hatte sie ganz sicher nicht gerechnet.
Aber auch ihr Video war immer bekannter geworden, weil die YouTube-Nutzer ihre eigenen Videos über den kleinen Hai produzierten und sich damit das Lied verselbstständigte. Hilfreich war dabei sicherlich auch, dass Alexandra Müller den kleinen Hai mit immer ekstatischer werdenden Armbewegungen spielte, die bei den Nachahmern besonders beliebt waren.
Dann klopfte ein Manager eines kleinen Labels an die Tür von Alexandra Müller und vermittelte sie an die Plattenfirma EMI, die aus dem kleinen Hai einen Sommerhit inklusive kultigem Modetanz machen wollten. Bis auf Platz 25 der deutschen Charts kletterte das Lied.
Man muss das nicht gut finden, was zwei Musikproduzenten der 26-jährigen Kulturwissenschaftlerin als Lied zusammenzimmerten. Was im YouTube-Video schön schrill und schräg ist, wurde für die CD-Single mittels stumpfen Dance-Beat auf ein Spaßmusikformat heruntergedampft. Ein Hit am Reißbrett eben und die perfekte Vorlage für Mitmachspiele in Diskotheken wie man sie auch von „The Ketchup Song“ kennt.
Aber auch wenn Alexandra Müller betont, vor allem gute Erfahrungen mit der Plattenindustrie und den Fans gemacht zu haben, war der kleine Hai doch auch ein trojanisches Pferd. Es wird spannend sein, in dem von der Kulturwissenschaftlerin geplanten Buch zu lesen, wie sie ihre Erfahrungen verarbeitet. Gerade weil sie sich selbst einer intellektuellen Überheblichkeit gegenüber dem Phänomen verweigert und hoffentlich trotzdem eine Kulturindustriemaschine demaskieren wird, die ständig neues Futter benötigt, um kurzfristig Erfolge zu feiern.

Gekürzte Fassung des Interviews:

Artikel als PDF-Datei

Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 8. Mai 2009