Globale Mächte
und tote Demokratien

„Syriana“ – Nichts ist spannender als die Wirklichkeit. Hervorragender,
brisanter Thriller über Ölgeschäfte, Terroristen und CIA-Agenten.

Die zwei Männer schauen sich lange schweigend an. In ihren Augen wird in diesem Moment die Gewissheit immer präsenter, einen Fehler gemacht und den falschen Menschen vertraut zu haben. Es waren die Interessen von Mächtigen, die sie vertraten, während man sie selbst in dem Glauben ließ, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Sie waren Figuren in einem globalen Schachspiel. Bevor sie etwas sagen können, zerfetzt eine Rakete die Szenerie.
„Syriana“ ist ein explizit politischer Film, der viele komplexe Handlungsstränge miteinander verknüpft. Die Geschäfte eines mächtigen, amerikanischen Ölkonzerns, die fragwürdige Mission eines CIA-Agenten, die Genese eines Selbstmordattentäters und die Ohnmacht eines reformwilligen Prinzen im Nahen Osten.
Trotz der Dichte der Geschichten versandet hier keine Episode und kein Charakter im Ungefähren. Der Erkenntnischarakter der Figuren und des Zuschauers läuft mit einer ähnlichen Geschwindigkeit ab. Das macht die große Nähe zum Geschehen aus, das damit gleichzeitig um so erdrückender wird. Und es wirft die Frage auf: Wenn das die Wirklichkeit ist, wie kann die Welt dann weiter existieren? Aber gerade diese Nähe zur Wirklichkeit macht die Intensität des Films aus.
Stephan Gaghan, der für das Drehbuch des meisterhaften „Traffic“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, hat diesmal das Buch „See No Evil“ des ehemaligen CIA-Agenten Robert Bear als Grundlage genommen, selbst noch ein Jahr recherchiert und diesmal auch die Regie übernommen. Herausgekommen ist eine Anklage an menschenverachtende Wirtschaftsinteressen und die Darstellung der Schwierigkeiten demokratischer Reformen eines Staates.
Die Wirklichkeit hat den Film dabei schon wieder eingeholt. In einem Dialog spricht CIA-Agent Bob Barnes (George Clooney) mit einer Vorgesetzten über die Demokratiebestrebungen des iranischen Präsidenten Mohammad Chatemi. Barnes, der sich die meiste Zeit im Nahen Osten aufhält, sagt desillusioniert, man würde die Studenten zwar gewissermaßen als Alibi demonstrieren lassen, aber am nächsten Tag würden trotzdem 50 Zeitungen schließen müssen.
Heute ist dieses kleine Stückchen Hoffnung im Iran wieder erloschen und der seit 2005 neue Präsident im Amt, Mahmud Ahmadineschad, macht mit markigen Drohungen etwa gegenüber Israel auf sich aufmerksam.
Beeindruckend für einen amerikanischen Regisseur ist in „Syriana“ auch die moralfreie Darstellung eines Selbstmordattentäters. Der Pakistani verliert seinen Job auf den Ölfeldern, kommt über Umwege in eine Madrasa, eine islamische Hochschule, und wird dort, für ihn selbst fast unmerklich, bis zum extremistischen Endpunkt politisiert.
„Syriana“ ist ein inhaltlich herausragender Film und zudem ein spannender Thriller. Die Wirklichkeit schreibt eben doch die intensivsten Geschichten. Bleibt nur zu hoffen, dass Gaghan mit seiner Mission Erfolg hat. Er will dass sein Publikum Zugang zu Themen und Persönlichkeiten findet, die ihnen bisher fremd und weit hergeholt erschienen.
„Syriana“ verdient es, von vielen Menschen gesehen zu werden und mehr als einen Gedanken auf seine Geschichte zu verwenden.

Aus der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, Februar 2006.


Die unerträgliche
Leichtigkeit der Rache

Steven Spielberg zeigt in „München“ Agenten mit der Lizenz zum Töten. Spannender Agententhriller, der jedoch seiner politischen Dimension nicht immer gerecht wird.

Der Titel des Films passt eigentlich gar nicht. Steven Spielberg hätte sich an die Buchvorlage von George Jonas halten sollen. Die heißt: „Die Rache ist unser“.
„München“ erzählt in 164 Minuten den Vergeltungsfeldzug einer Gruppe Mossad-Agenten. Innerhalb von knapp einem Jahr bringen sie sieben der elf mutmaßlich am Olympia-Attentat beteiligten Hintermänner um. Der Auslöser, dieser später als „Operation Zorn Gottes“ bezeichneten Aktion, wird dabei in wenigen Minuten am Anfang abgehandelt. Die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ ermordete 1972 bei einer Geiselnahme während der Olympischen Spiele elf israelische Sportler.
Dieser Tag wurde durch die Liveberichterstattung zu einem medialen Ereignis. Auch Spielberg saß damals vor dem Fernseher und sagt heute in einem Interview dazu: „Ich konnte gar nicht fassen, dass das kein Unterhaltungsfilm war.“ Diese Aussage war auch am 11. September 2001 zu hören. Die Menschen glaubten, die ins World Trade Center abstürzenden Flugzeuge seien nicht real, sondern der Trailer für den nächsten Coup eines brachialen Hollywoodianers.
Spielberg hat sich nun eben genau dafür entschieden. Er hat einen Unterhaltungsfilm vom Attentat in München und seinen Folgen gemacht.
Obwohl sich der Regisseur in Interviews darauf beruft, zwar von einer wahren Begebenheit auszugehen, aber in erster Linie einen fiktionalen Film zu erzählen, herrscht von Beginn an ein inhaltliches Ungleichgewicht. „München“ will ein ambitionierter Politthriller mit möglichst neutralem Gewissen sein. Ein mitunter spannender Agententhriller ist „München“ geworden, aber die politischen Dimensionen bleiben über weiteste Strecken zu knapp formuliert. Eine historische Figur wie die israelische Premierministerin Golda Meir (Lynn Cohen) taucht etwa auf, erteilt den Auftrag, ein Killerkommando loszuschicken und verschwindet wieder. Die Tragweite der Entscheidung geht dabei fast vollkommen unter.
Und es wird auch nur angedeutet, dass der Rachefeldzug der Agenten, wie auch immer er moralisch zu bewerten ist, wiederum neue Gewalt der palästinensischen Seite nach sich zieht.
Wenn Spielberg sagt, er habe ein Plädoyer für den Frieden drehen wollen, kommt es im Ergebnis eher als ein Manifest der Abschreckung daher. Nie zuvor hat der Filme machende Märchenonkel soviel Blut und zerfetzte Körper gezeigt.
„München“ hat alle Zutaten, die der Zuschauer von einem Agententhriller erwartet. Ausspähen, Bomben bauen, Rückschläge, eigene Verluste. Das ist spannend und visuell ansprechend umgesetzt. Aber es will eben nicht recht in den Rahmen passen. Der Feldzug der Agenten bleibt fast vollkommen losgelöst vom politischen Hintergrund.
Richtig gut wird der Film erst, wenn vor allem der Anführer der fünfköpfigen Gruppe, Avner (Eric Bana), mit Zweifeln ringt. Und hier sind die dramaturgischen Aussparungen, die an anderer Stelle die Schwächen des Films ausmachen, gut. Die mörderischen Jobs werden vordergründig kaltblütig erledigt, aber im Verlauf der Geschichte hinterfragen die Männer ihre Aktionen immer deutlicher. Aber das taucht nur in wenigen Worten und kleinen Gesten auf. Gesichter voller Angst und zittrige Finger am Fernauslöser. Die fünf Männer blenden ihre Moralvorstellungen vorübergehend aus, aber dann kommen diese um so einnehmender zurück. Manchmal bis zum Wahn.
Auch eine andere ruhige Szene zwischen der Terroristenjagd ist als stille Metapher überzeugend. Wie Agent Avner ein paar Mal vor dem Schaufenster eines Küchenstudios steht und sich immer wieder die selbe Einrichtung anschaut, ist ein passenderes Bild für den Frieden als viele Worte.
Am Ende des Films sagt Ephraim (Geoffrey Rush), der Kontaktmann vom Mossad, zu Avner, dass das Töten der Zukunft und dem Frieden dienen würde. Avners Antwort ist kurz und prophetisch: „Es wird keinen Frieden geben.“

Aus der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, Januar 2006.


Robin Hood in Hollywood

„Dick und Jane“ mit Jim Carrey: Müdes Remake
mit wenig guten Gags – spielfreudig wie immer: Jim Carrey

Auch wenn „Dick und Jane“ nicht lange im Gedächtnis bleiben wird, stellt der Film mal wieder eine Sache klar: Jim Carrey ist ein würdiger Nachfolger für Jerry Lewis. Niemand sonst beherrscht so gekonnt die physische Komik. Carrey ist ein Hampelmann und akrobatischer Clown. In einer Szene langweilt er sich und spielt im Haus herum. Springt über ein Geländer in einen Sessel oder macht Radschlag im Wohnzimmer. Das ist vollkommen sinnfrei und gerade deswegen gut. Carrey und Lewis haben eben beide die „Funny Bones“. Sie sind allein aus sich heraus komisch. Der Nachteil: Oft verkommt dadurch die Handlung eines Films zum bloßen Beiwerk, zum Rahmen für einen großen Selbstdarsteller. So ist es auch bei „Dick und Jane“.
Regisseur Dean Parisot, der unter anderem für die Fernsehserie „Monk“ gearbeitet hat und für die schöne Weltraumfarce „Galaxy Quest“ verantwortlich ist, hat den Film gemacht und bleibt sicher unter seinen Möglichkeiten. Weil Hollywood sein Heil immer noch in Remakes sucht, ist auch dieser Streifen eine Neuauflage von „Fun with Dick and Jane“. Ein Film den Ted Kotcheff 1977 mit Jane Fonda und George Segal drehte.
Dick Harper (Carrey), erfolgreicher PR-Mann des Unternehmens Globodyne, wird nach 15 Jahren endlich zum PR-Chef befördert. Bevor der erste Gehaltscheck da ist, kündigt die Ehefrau den Job. Am gleichen Tag verliert Dick schon wieder seine neue Stellung, weil das Unternehmen plötzlich pleite geht. Nach und nach verkaufen die Harpers ihren kompletten Hausrat. Als dann auch der frisch verlegte Rasen aus dem Vorgarten abgeholt wird, brennt bei Dick eine Sicherung durch. Schlammverschmiert wacht er am nächsten Morgen neben Ehefrau Jane (Téa Leoni) auf. Er hat aus den Nachbarsgärten Rasenstücke herausgeschnitten und bei sich verlegt. Dick bringt das auf die Idee, zum Räuber zu werden. Er bewaffnet sich mit einer Spielzeugpistole und Jane wird die Fluchtwagenfahrerin. So beginnen die Harpers ihre kriminelle Karriere.
Der Film wird anschließend eine Mischung aus einer sehr zahmen Variante von „Bonnie und Clyde“ und ein bisschen Robin Hood. Denn das Spielchen mit dem bankrotten Globodyne und dem aaligen Firmenpräsidenten Jack McCallister (Alec Baldwin), der sich mit 400 Millionen Dollar aus dem Staub gemacht hat, ist noch nicht zu Ende.
Der große Slapstick bleibt leider aus. Auch die dramaturgischen Möglichkeiten, die der plötzlich-arbeitslos-Plot bietet, werden nicht richtig ausgelotet. Daraus hätte Parisot eine schön schwarze Tragikomödie machen können. Die wenigen guten Momente hat allein Carrey, aber die sind auch eher rar gesät. So bleibt „Dick und Jane“ eher ein müder Spaß.

Aus der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, Januar 2006.


Ein geisterhaftes Märchen

„Solange du da bist“ mit Reese Witherspoon

Elizabeth Masterson (Reese Witherspoon) ist eine junge, erfolgreiche Ärztin. Gerade schuftet sie seit 26 Stunden, als sie von ihrem Vorgesetzten die lang ersehnte Nachricht bekommt, dass sie zur Oberärztin befördert wird. Übermüdet und glücklich steigt sie in ihr Auto und dreht die Musik laut. Plötzlich sieht sie nur noch die riesigen Scheinwerfer eines LKWs und dann wird es dunkel.
David Abbott (Mark Ruffalo) ist ein ehemals erfolgreicher Landschaftsarchitekt und jetzt auf der Suche nach einer neuen Wohnung. Weil ihm die Anzeige zufällig ins Gesicht weht, zieht er in ein Appartement, das aufgrund einer familiären Tragödie gerade nur monatsweise vermietet wird. Ihm ist das Recht, denn er ist vor allem mit Trinken beschäftigt. Dann taucht plötzlich Elizabeth auf und versucht zu erklären, dass David in ihrer Wohnung sei. Erst als sie versucht, das Telefon zu greifen, um die Polizei zu rufen, merken beide, dass etwas nicht stimmt. Elizabeth ist ein Geist.
Regisseur Mark Waters, der mit Filmen wie „Freaky Friday“ oder „Girls Club“ eher nicht positiv aufgefallen ist, hat mit „Solange du da bist“ ein wirklich schönes Märchen gedreht. Die Anleihen an „Ghost“ und die zuckersüße Hauptdarstellerin zeigen zwar, dass der Film auf dem Hollywoodreißbrett entstanden ist. Aber die liebevollen Kleinigkeiten, wie etwa der Buchhändler und Geisterkenner Darryl (Jon Heder), und die Thematisierung eines medizinischen Grenzbereichs sorgen dafür, dass es ein bisschen mehr ist als oberflächliche Unterhaltung.
Ohne die Handlung in ein Drama abgleiten zu lassen, setzt sich der Film mit dem Problem des Komapatienten auseinander. Ein Thema das gerade noch im März dieses Jahres in den USA mit dem Fall Terri Schiavo diskutiert wurde.
Nachdem sich Elizabeth and David langsam an ihre Situation gewöhnt haben, machen sie sich auf die Suche nach der Identität des Geistes. Denn es heißt doch immer, der Geist bleibt auf der Erde zurück, wenn noch etwas zu erledigen ist. Was das ist, müssen die beiden gemeinsam herausfinden.
„Solange du da bist“ ist beste Vorweihnachtskost, die perfekt zu Kerzen und Kuscheldecke passt. Und die Botschaften, die der Film vermitteln will, kommen zart und unaufdringlich.

Aus der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, Dezember 2005.


Oh, Du schönes Amerika!

Cameron Crowes neuer Film „Elizabethtown“

Drew Baylor (Orlando Bloom) sitzt in einem Hubschrauber und starrt sehnsüchtig auf den Notausstieg. Als er dann nach der Landung regulär aussteigt, ziehen die bedrohlichen Rotorblätter seine Aufmerksamkeit auf sich. Drew hat nichts mehr zu verlieren. In diesem Moment weiß er schon, sein Chef Phil DeVoss (Alec Baldwin) wird ihn als Designer der Sportschuhfirma entlassen, denn Drew hat dem Unternehmen mit seinem neuen Modell, an dem er acht Jahre gearbeitet hat, einen Verlust von 970 Millionen Dollar beschert.
Zu Hause angekommen, bastelt er sich eine komplizierte Apparatur, mittels der er Selbstmord begehen will. Ein auf dem Hometrainer befestigtes Messer soll ihm rhythmisch in die Brust stechen. Er will sich noch etwas quälen bei seinem Abgang. Aber bevor er die Maschine anschalten kann, bekommt er einen Anruf. Sein Vater ist gestorben. Er soll nach Elizabethtown in Kentucky reisen und ihn von dort abholen. Drew verschiebt seinen Selbstmord und macht sich von Oregon aus auf die Reise.
Eine wahrhaft merkwürdige Ausgangssituation hat Cameron Crowe („Almost Famous“) für seinen neuen Film gewählt. Aber er schlägt seinen Charakter nur nieder und fährt dessen Leben gegen eine Mauer, damit Drew wieder sensibel für die kleine Dinge des Lebens wird. Claire Colburn (Kirsten Dunst), Stewardess auf dem Flug nach Elizabethtown, wird Drew dafür die Augen öffnen.
Cameron Crowe ist Patriot. Er erzählt nicht nur eine magische Liebesgeschichte, die immer offen bleibt, sondern zeigt auch viele Facetten seines Amerikas. Die Menschen, die Musik und die Landschaft. Dem unermesslichen Reichtum eines Unternehmers setzt er eine verschlafene Kleinstadt und die einfachen Menschen entgegen. Dem schnellen und anonymen Hinflug nach Elizabethtown folgt die langsame und bilderreiche Rückfahrt „on the road“.
Claire bastelt Drew für die Überführung der Asche seines Vaters diesen Roadtrip zurecht. Minutengenau, mit passender Musik und vielen kleinen Geschichten. Die Fahrt wird zu einer intimen Tour, bei der sich Drew noch einmal seinem Vater annähert, obwohl nur dessen Urne auf dem Beifahrersitz angeschnallt ist.
„Elizabethtown“ ist ein wahrer Glücksfall und ein wunderbar leicht und liebevoll erzählter Film. Und fürs Erzählen lässt sich Crowe angenehm viel Zeit. Er zeigt echte Menschen, schöne Landschaft und eine Liebesgeschichte, bei der sich zwei Menschen wirklich umeinander bemühen und nie richtig klar wird, was aus ihnen wird. Genau daraus entsteht hier wahre Romantik.

Aus der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, November 2005.

Inhalt

Globale Mächte und tote Demokratien
„Syriana“ – Nichts ist spannender als die Wirklichkeit. Hervorragender, brisanter Thriller über Ölgeschäfte, Terroristen und CIA-Agenten.

Die unerträgliche Leichtigkeit der Rache
Steven Spielberg zeigt in „München“ Agenten mit der Lizenz zum Töten. Spannender Agententhriller, der jedoch seiner politischen Dimension nicht immer gerecht wird.

Robin Hood in Hollywood
„Dick und Jane“ mit Jim Carrey: Müdes Remake mit wenig guten Gags – spielfreudig wie immer: Jim Carrey

Ein geisterhaftes Märchen
„Solange du da bist“ mit Reese Witherspoon

Oh, Du schönes Amerika!
Cameron Crowes neuer Film „Elizabethtown“