Kaltes, klares Wasser

Im Aquaboxing-Kursus von Sascha Schöler geht es nicht
nur um Fitness, sondern auch um eine Philosophie

BAD BERLEBURG. (wp) Zu dieser Melodie lief Rocky Balboa an einem bitterkalten Wintermorgen 1975 die Treppe vor dem Philadelphia Museum of Art hinauf. Heute ist sie unsere Eintauchfanfare. Dass dieses Lied für Sascha Schöler mehr bedeutet, wird er erst später erzählen. Rocky ist doch irgendwie auch eine Philosophie.
Dann geht es los und es fühlt sich an, als hätte mich Roland Koch in ein Bootcamp gesteckt. Im Chor brüllen wir zurück, wenn Sascha Schöler zählt: "8! 7! 6! 5! 4! 3! 2! 1!" Für einen kurzen Moment wird danach das Tempo gedrosselt und wir marschieren auf der Stelle. Dann geht es weiter. Immer wieder. Wenn er nicht guckt, höre ich manchmal einfach auf. Ich kann eigentlich schon nach 15 Minuten nicht mehr, aber da haben wir gerade mal die Aufwärmübungen hinter uns. Und immer werden unsere rhythmischen Bewegungen von House und Techno begleitet. Ich hasse diese Musik.

Unseren Schweiß sieht man nicht

Trainer Sascha Schöler ist noch kurzer Zeit vollkommen durchgeschwitzt. Sein weißes T-Shirt klebt am Körper. Unseren Schweiß sieht man nicht, denn wir stehen brusttief im Wasser. Ich bin heute beim Aquaboxing. Nach dem Aufwärmen geht es an die Schläge und Tritte. Aquaboxing ist als Begriff eigentlich falsch, denn wir bewegen uns in den Stilen Kickboxen und Muay Thai.
Wenn Sascha nicht zählt, ruft er "Super!" oder deutet mit stummen Gesten auf einen Fehler. Außer ihn hört man nur noch die zwei anderen Männer der Gruppe. Sascha hatte am Anfang erklärt, wir sollten beim Ausatmen ein "Hu!", einen Ausatemschrei von uns geben. Die beiden Männer - irgendwo um die Fünfzig - erinnern sich wohl an ihre Schulzeit und parodieren Urschreie. Die rund 15 Frauen hört man nur vereinzelt, eine ist mit ihrem Kaugummi beschäftigt.
Als ich Teenager war, trainierte ich ein Jahr im Verein "Okinawa Karate und Kung Fu". Auch dort sollten wir geräuschvoll ausatmen. Hier im Becken sind meine Schreie zuerst noch mit Scham gedämpft, dann lasse ich alles raus. Die ganze Gruppe hört man erst wieder, wenn es an den Countdown geht. Dann lassen alle alles raus, weil das Ende einer Übung naht. Vier Schläge und Tritte lernen wir an diesem Abend. Vier weitere werden folgen. Am Ende des Kursus, nach zehn Stunden, will Sascha uns aus diesen Schritten eine Choreographie beigebracht haben.
Sascha Schöler stieg mit 14 Jahren ins Wasser und wurde Leistungsschwimmer. Eigentlich ein später Start, aber er schaffte es trotzdem bis zu den deutschen Meisterschaften. "Ich habe jeden Tag trainiert und meine ganze Jugend damit verbracht", erzählt er.

Capoeira lehrte ihn Respekt und Liebe 

"Dort habe ich Teambereitschaft und Konkurrenzkampf gelernt." Weil er mit 19 die Ausbildung zum Schwimmmeister für Bäderbetriebe begann, suchte er sich einen anderen Sport als Ausgleich.
Er fing mit Jazztanz und Ballett an. Mit 22 Jahren landete er schließlich beim Kampfsport. Er wollte sehen, was er erreichen kann. Karate, Kickboxen und zuletzt Kickboxen mit Vollkontakt. "Das war mir dann aber bald zu hammermäßig mit den Verletzungen", erzählt er.
Seine Bestimmung fand er vor vier Jahren im Capoeira. Ein brasilianischer Kampftanz, der während der Kolonialzeit von aus Afrika eingeschifften Sklaven praktiziert wurde. "Capoeira kommt aus dem Herzen und bedeutet für mich vor allem Respekt, Liebe zu den Menschen, Liebe zur Bewegung", sagt Sascha Schöler. "Und aus nichts etwas machen zu können."
Im Wasser bleibt für solche Gedanken keine Zeit. Wir sind eine Gruppe, aber irgendwie doch allein mit uns, mit dem Wasser. Blickt man in die Runde, sind überall rote Gesichter zu erkennen. Die Teenie-Männer werden im Laufe der 45 Minuten auch immer stiller und ich hoffe zwischenzeitlich auf die Momente, wenn sich Sascha abwendet und ich kurz aufhören kann.
Aber nach und nach komme ich immer wieder auch an den Punkt, an dem mich etwas ganz tief im Innern packt. Dann will ich mehr. Die Techno-Musik peitscht und es ist mir egal, dass ich sie nicht mag. Jetzt ist das Wasser mein Feind. Ich will zuschlagen. Härter, schneller, mit mehr Kraft. Was hatte Sascha am Anfang der Stunde gesagt: "Es geht hier heute um Ausdauer, Koordination, Konzentration und Kraft." Das Wasser spritzt an den Seiten hoch, ich höre ihn jetzt irgendwo "Super!" rufen und denke, es ist für mich bestimmt.
Plötzlich ist die Musik aus. Schluss. Gerade noch rechtzeitig. Ich bin am Ende. Sascha bittet alle an den Beckenrand und schwört uns auf die nächste Stunde ein. "Kommt ihr alle wieder?" Die Antwort ist mehr ein Nicken als eine klare Zusage. Pure Erschöpfung liegt auf den Gesichtern. Als ich aus dem Becken steige, fühle ich mich wackelig auf den Beinen, dabei haben die doch gerade noch so kraftvoll das Wasser verdroschen. "Der Widerstand im Wasser ist 12-mal höher als an Land", sagt Sascha. Bewegt man sich jetzt, fühlt es sich an, als wäre man gerade vom zentnerschweren Raumanzug befreit worden.

Kampfsport ist immer auch etwas fürs Leben

Die anderen gehen duschen, ich setze mich zu Sascha Schöler und er erzählt, warum er den Song aus Rocky gespielt hat: "In dem Charakter entdecke ich etwas, was ich selbst erlebt habe - von unten nach oben zu kommen." Er lächelt. Auch wenn der Kursus hier eher auf Fitness ausgerichtet ist, will er, dass die Teilnehmer am Ende zeigen wollen, was sie können. "Kampfsport ist immer etwas fürs Leben und nicht für die Straße."

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Im Aquaboxing-Kursus wird 45 Minuten lang das Wasser verdroschen,
während Trainer Sascha Schöler mit Kommandos anpeitscht.
Ich kann eigentlich schon nach 15 Minuten nicht mehr, aber da
haben wir gerade mal die Aufwärmübungen hinter uns.
Fotos: Sarah Harth

 



Trainer Sascha Schöler will seinen Schülern Ausdauer,
Koordination, Konzentration und Kraft vermitteln.
Foto: Tim Meyer

 

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© Westfalenpost, 16. Februar 2008