Eine Existenz auf Blumen bauen

Kathrin Linde wagt den Schritt in die Selbstständigkeit
und eröffnet einen Blumenladen

Wer den ganzen Tag in einem Meer aus Blumen steht, muss nicht zwangsläufig tot sein oder durchs Paradies wandeln. Man kann sich auch einfach mit einem Blumengeschäft selbstständig machen und es "Tinis Blumenzauber" nennen. Diesen Schritt wagt jetzt Kathrin Linde.
"Es war schon immer mein Traum, mein eigener Herr zu sein", sagt die 24-Jährige. Nach drei Jahren Ausbildung und vier Jahren Festanstellung beim "Blumenhaus Claudy" kündigte sie dort Ende 2007. Schon seit Oktober plante sie ihre Selbstständigkeit. Zu diesem Zeitpunkt war auch die alte Blumenhändlerin aus Wingeshausen fortgezogen - aber nicht weil die Geschäfte schlecht liefen. Sie hatte persönliche Gründe.
Vor dem Schaufenster hält ein großer weißer Laster. Ein Händler kommt vorbei, um seine Ware zu zeigen. Unterwegs habe er gehört, es gebe hier ein neues Blumengeschäft. "Man muss um jeden Kunden kämpfen", erklärt der Mann und zeigt Kathrin Linde die auf Regalen aufgereihten Blumen: "Primeln 60 Cent das Stück. Oder hier ein Efeuherz für 14 Euro." Die junge Geschäftsfrau hört zu und nickt. Heute braucht sie nichts, tauscht mit dem Mann aber die Telefonnummern aus. Als er geht, sagt er noch: "Es ist doch hier auf dem platten Land bestimmt nicht leicht, oder?" "Ach, doch", sagt Kathrin Linde und lächelt.
Es sind noch drei Tage, dann soll ihr Geschäft zum ersten Mal öffnen. "Langsam wird es aufregend", erzählt sie. "Man fragt sich immer, ob alles glatt läuft und nichts fehlt." Existenzielle Sorgen mache sie sich aber keine. Einen sicheren Arbeitsplatz aufzugeben und es ganz alleine zu versuchen, scheint für sie eher normal als ein Wagnis zu sein. Wenn man sie nach dem Mut fragt, der doch dazugehören muss, schaut sie fast verwundert. Nur eine Sache ging ihr durch den Kopf: "Am Anfang habe ich mich gefragt, ob mir noch Zeit für meinen Partner und meine Familie bleibt."
Aber ihre Familie und vor allem der Freund unterstützen sie. "Wenn mein Partner nicht hinter mir stehen würde, hätte ich es vielleicht nicht gemacht."
Im Verkaufsraum sind Tische mit Dekorationsartikeln aufgebaut. Alles ist nach Farben sortiert - Orange, Gelb, Grün und Rot. Für den Valentinstag will die Geschäftsfrau gerüstet sein. Viel Rot, viele Herzen. Für den Einkauf der Deko-Artikel besuchte sie extra eine Einrichtungsmesse, um sich über Trends zu informieren. Sie will beim Start alles richtig machen.
Das Farbkonzept der Tische bestimmt den Raum, so dass die Blumen erst auf den zweiten Blick zu sehen sind. Momentan hat sie hauptsächlich Topfpflanzen aufgebaut. Kathrin Linde mag am liebsten Sukkulenten und Kakteen, weil die so ungewöhnliche Formen haben. Hinten im Lager warten die Schnittblumen, die vor der Eröffnung nicht aufblühen dürfen.
Während der Realschulzeit absolvierte Kathrin Linde zwei Praktika: beim Tierarzt und im "Blumenhaus Claudy". Danach war ihre Entscheidung klar. Sie bekam den Ausbildungsplatz und später die Anstellung. Sieben Jahre war sie insgesamt im "Blumenhaus Claudy". Dort konnte sie zwar auch eigenständig arbeiten, aber sie hatte in dem Betrieb als junges Mädchen angefangen. Hier und heute, zwischen ihren Blumen, in ihrem eigenen Geschäft zu stehen, ist vielleicht ein bisschen wie erwachsen zu werden.
Dieser Schritt bedeute, die eigenen Ideen noch konsequenter umsetzen zu können, erklärt die junge Frau. Wenn sie sich in ihren Arbeitsraum zurückzieht, überlegt sie meistens nur kurz und legt einfach los. "Ich schaue mich im Laden um und benutze die Materialien spontan, wenn sie mir gefallen."
Dass Aufregung und Anspannung kurz vor der Eröffnung zunehmen, spürt Kathrin Linde aber doch. "Zweimal bin ich aufgewacht und dachte, ich habe irgendeinen Termin vergessen." Aber alles war erledigt. "Es ist schon ziemlich viel, was man bedenken muss. Ständig bin ich damit beschäftigt, irgendwelche Zettel zu schreiben." Sie musste sich um die Sozialversicherung kümmern und Blumenhändler suchen. Für den Krankheitsfall hat sie sich eine Vertretung auf Abruf organisiert. Und heute Morgen um 5.30 Uhr war sie bereits in Bad Berleburg, um Waren einzukaufen. Aber selbst wenn sie das beschreibt, wirkt sie gelassen. Für einen guten Schwimmer kann es gefährlich sein, ins offene Meer hinauszuschwimmen. Kathrin Linde hat sich einfach ein Boot gebaut. Sie vertraut auf sich.
Auch wenn alles anders laufen sollte, als sie es sich jetzt vorstellt, würde sie weitermachen. "Wenn ich mit dem Laden scheitere, könnte ich mich schnell wieder aufrappeln", meint sie. "Zuerst würde ich jede Arbeit annehmen, um schnell den Kredit abzubezahlen und mir danach wieder einen Job mit Blumen suchen." Aber sie habe diese Angst eigentlich nicht. Sie glaubt an ihren Traum.


HINTERGRUND

"Man darf kein stilles
Mäuschen sein"


Existenzgründer brauchen Persönlichkeit

Rolf Kettler, Gründungsberater der Industrie- und Handelskammer (IHK), gibt Existenzgründern folgende Tipps: Wer den Schritt als Einzelunternehmer wagt, sollte zuerst überlegen, ob er ein Verkäufertyp ist. "Man darf kein stilles Mäuschen sein." Genauso wichtig sei der emotionale Rückhalt im privaten Umfeld. Ein Einblick in die Zahlen des Vorgängers, wie ihn Kathrin Linde hatte, ist optimal, da man sich etwa vorstellen könne, mit welchem Umsatz zu rechnen ist. "Ein Unternehmer muss immer an seine Liquidität denken, falls er kurzfristig Geld braucht. Außerdem muss er genau kalkulieren, ob er vom Gewinn am Ende seinen Lebensunterhalt bestreiten kann." Den Businessplan sollte der Selbstständige alleine erstellen und nur für eine Feinjustierung den Steuerberater aufsuchen. "Durch diesen Prozess sollte der Gründer selbst gehen, damit er auch hinter den Zahlen steht", rät Rolf Kettler. Das regionale Existenzgründernetzwerk, Renex (www.renex.org) berät im Vorfeld.

Kredite und Zuschüsse

Die KfW Bankengruppe, die ehemalige "Kreditanstalt für Wiederaufbau", fördert speziell Existenzgründungen mit einem maximalen Startgeld von 50 000 Euro. Zusätzlich können Existenzgründer eine Unterstützung vom Arbeitsamt bekommen. Der Gründungszuschuss wird gewährt, wenn von "fachkundlicher Stelle die Tragfähigkeit der Geschäftsidee bescheinigt wurde", erläutert Jan Crepon von der Agentur für Arbeit. Diese fachkundlichen Stellen sind etwa die IHK oder ein Steuerberater. Die Hilfe vom Arbeitsamt ist für die Absicherung des Lebensunterhaltes gedacht und für die Sozialversicherung, um die man sich als Selbstständiger kümmern muss. Der Gründungszuschuss setzt sich aus dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld plus 300 Euro pro Monat zusammen. Ein direkter Übergang von einer Anstellung in eine geförderte Selbstständigkeit ist nicht möglich. Läuft das neu gegründete Geschäft gut, ist eine Verlängerung der Förderung um weitere sechs Monate möglich. Dafür muss nachgewiesen werden, dass die Selbstständigkeit auch wirklich ausgeübt wird. 56 Existenzgründer Existenzgründungen wurden in Wittgenstein von Januar bis Oktober 2007 von der Agentur für Arbeit gefördert. 2006 waren es 60.

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"Zweimal bin ich aufgewacht und dachte, ich habe
irgendeinen Termin vergessen", sagt Kathrin Linde.

 



„Es ist doch bestimmt nicht leicht auf dem platten Land, oder?”,
meint der Händler. „Ach, doch”, sagt Kathrin Linde und lächelt.
Fotos: Tim Meyer

 


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© Westfalenpost, 9. Februar 2008