Mendener Maler malen Menden

Vier Kunsthandwerker und Künstler mit
unterschiedlichen Blicken auf ihre Heimatstadt

Sie haben sich ihre Stadt als Motiv ausgesucht, weil sie den Auftrag bekamen oder weil sie für ihre Kinder Bilder der Erinnerung schaffen wollten. Sie suchten sich Orte, die jeder kennt, und wollten sie einmal ganz anders zeigen. Sie bannten Objekte auf ein Bild, die bald abgerissen werden sollten oder holten bereits verschwundene Gebäude mit dem Bleistift zurück. Wir haben vier Maler zu Hause besucht und mit ihnen über die Arbeit gesprochen.

Gedächtnis in Graphit

Im „Klüngelzimmer” von Georg Hanke hängen die Wände voller Bilder — Ölmalerei, Zeichnungen. Auf der einen Seite die Urlaubserinnerung an einen Sonnenuntergang, auf der anderen Seite eine rosane Rose und die Kopie eines Gemäldes von Carl Spitzweg. Weil er Fan des Biedermeier-Malers ist und sich kein Original leisten konnte, sagte seine Frau zu ihm: „Dann mal dir doch selbst ein Bild.” Und so machte er es.
Dazwischen Motive aus Menden — die Lahrfeldkapelle, der Teufelsturm, Fachwerkhäuser. Anfang der 80er hat er angefangen, Menden zu zeichnen. „Ich wollte mal eine Sammlung von Mendener Winkeln und Ecken zusammenstellen, daraus ist aber nie etwas geworden”, erzählt Georg Hanke. Gezeichnet hat er sie trotzdem.
Bei der Motivsuche hielt er vor allem jene Objekte mit seinem Fotoapparat fest, von denen er wusste, dass sie nicht mehr lange stehen würden. Oft sind Fachwerkhäuser auf seinen Bildern zu sehen, Modernes interessiere ihn weniger. Georg Hanke zeigt an der Wand auf ein Bild mit einem alten Haus und einem Kreuz davor: „Hier in der Kapellengasse ist das heute alles weggerissen.” Dort stehe jetzt die Cramersche Fabrik. Gedächtnis in Graphit.
Mit dem Zeichnen hat der heute 76-Jährige schon als Kind angefangen. „Ich konnte es eben.” Aber erst als seine Kinder vom ihm Düsenjäger und Märchenfiguren gemalt haben wollten, kam er wieder auf den Geschmack. Auch seine Arbeit als Bäckermeister hielt ihn nicht davon ab, trotzdem er gut ausgelastet war.
Aber von der Ecken-und-Winkel-Sammlung kam er ab, weil er vermehrt Ölbilder malte und sich auf Motive beschränkte, die seine Käufer haben wollten. Wenn Interesse an seiner Arbeit bestand, sei das Antrieb für ihn gewesen. Beliebte Motive, die ihm die Leute für 200 DM abnahmen, malte er so oft, bis sie keiner mehr haben wollte und er ein Exemplar für sich hatte. Menden war immer dann zu sehen, wenn das Motiv ein Käufer haben wollte.
„Ich sehe mich nicht als Künstler”, sagt Georg Hanke. Er will nicht Gefühlen mit seiner Arbeit Ausdruck verleihen, sondern ordentlich und akurat seine Motive abbilden.
Ein Thema will er auf jeden Fall noch umsetzen. Eine russische Troika im Schneegestöber, mit Wölfen. „Wenn ich eine Vorlage für die Pferde hätte, würde es gehen.” Er sucht etwas Wildes.

 

Malen ist etwas Natürliches

Heinrich Löffler holt einen vergilbten Block hervor. Auf einem Blatt ist eine mit Bleistift gezeichnete Winterszene zu sehen. Ein Vogelhäuschen mit Spatzen, Rehe an einer Futterstelle. Den Wald hat er damals einfach weggelassen. Dem Lehrer gefiel das Bild und so musste der junge Heinrich in der großen Pause das Motiv an die Tafel malen. Es herrschte Krieg und Vorlagen im Unterricht waren rar.
Der heute 80-Jährige erinnert sich noch sehr genau an diese Zeit. Auch daran, wie er sich im Mai 1947 ans Küchenfenster des Elternhauses in der Lendringser Hauptstraße setzte, den Block in die Hand nahm und die Villa des Fabrikanten Max Becker malte. „Damals war noch nicht viel los”, erzählt Heinrich Löffler. Vielleicht sei es auch ein bisschen Langeweile gewesen, die ihn kreativ werden ließ. Auf jeden Fall sei dieses Bild das erste gewesen, das er mit Verstand gemalt habe.
Das Interesse an Formen und Farben hat ihm seine Mutter mitgegeben. Sie starb, als ihr Sohn erst drei Jahre alt war.
Malen sei für ihn etwas Natürliches gewesen, erzählt Heinrich Löffler. Für seinen Vater war es dagegen eine „brotlose Kunst”. Deswegen musste der Sohn Schneider werden. Wie der Vater. „Als ich aus der Schule kam, hätte ich eigentlich gerne etwas mit Kunstgewerbe gemacht.”
Mit Motiven aus Lendringsen war nach der Becker-Villa für viele Jahre Schluss. Bis er in den 90er Jahren wieder einen Stift in die Hand nahm und zuerst etwas aufschrieb: „Das Interesse an Lendringsen und der alten Zeit zu erhalten und weiterzugeben ist ein Anliegen dieser Arbeit. Ich will mich nicht ins Fabulieren verlieren.” Das steht handschriftlich in dem Ordner mit dem Titel „Lendringsen ab 1910 erzählt.” Warum es ihm gerade diese Zeit so angetan hat und wann er mit der Arbeit anfing, kann er nicht genau sagen. Aber er mache das auch für seine Kinder. „Vielleicht weil ich romantisch bin.”
Akribisch beschreibt Heinrich Löffler in den Aufzeichnungen Treppen, einen Kellerfußboden aus gestampften Lehm und Ortsteile. Er kopierte sich auch den Kataster von 1829 und rief sogar im Drahtmuseum an, um herauszufinden, wann eigentlich Stacheldraht erfunden wurde. Sein Anspruch war dabei, nicht die Fantasie zu benutzen, sondern alle Details zu kennen. „Ich kann von jedem Haus eine Geschichte erzählen”, sagt er heute.
Und irgendwann holte er auch wieder den Block hervor und begann, sein altes Lendringsen zu zeichnen und zu malen. Als Vorlage dienten ihm alte Postkarten, seine Erinnerungen und die Recherchen. Er zeichnete etwa sein Elternhaus, das Gut Rödinghausen, die Gastwirtschaft Ferdinand Dederich oder die alte Schule „Auf der Heide”. Ein Blick in die Vergangenheit mit Tusche, Bleistift und Buntstiften.
„Ich habe eigentlich immer für die Schublade gearbeitet”, erzählt Heinrich Löffler. Trotzdem hatte er die Hoffnung, dass sich vielleicht die Kinder irgendwann dafür interessieren. Und weil es sie interessiert, haben sie jetzt, ohne ihren Vater zu fragen, die Bilder von Lendringsen in dem Kalender „Das alte Lendringsen” zusammengestellt. „Sie wussten, ich hätte nein gesagt.”

 

Aus Liebe zum Licht

Hermann-Josef Schnell liebt das Licht. Auf seinen Aquarellen bahnt sich oft ein Lichtstreifen durch die Bäume und schafft leuchtende Inseln auf dem Waldboden. Der gelernte Innenarchitekt ist in Menden immer auf der Suche nach unentdeckten Motiven. „Ich muss nicht den Teufelsturm malen.“ Und wenn die St.-Vincenz-Kirche aufs Papier kommt, dann malt er sie nicht mit allen Details, sondern deutet nur Ausschnitte an.
Auf einigen Bildern verschwimmen Gebäude zu bunten Farbflächen, andere scheinen die Hitze eines Tages auszustrahlen. Eine präzise Abbildung interessiert ihn nicht. Er will in seinen Bildern Stimmungen und die Atmosphäre eines Ortes festhalten. „Ich will den Mendenern zeigen, wie die Orte, die sie kennen, von einem mit Pinsel und Farbe gesehen werden.“
1997 hatte Hermann-Josef Schnell einen Schlaganfall. Daraufhin musste er seine Arbeit als Innenarchitekt im elterlichen Betrieb fast komplett aufgeben. Zu sehen, wie etwas entsteht und wächst, hatte ihm immer Spaß gemacht. Vor allem, wenn die Kunden nichts von der Stange wollten, sondern Kreativität gefragt war.
Zu seinen ersten Begegnungen mit einem Bleistift sagt er lakonisch: „Man fährt mit der Hand über ein Blatt Papier und schmiert es voll.“ Er wollte sich ausdrücken, aber nichts Weltbewegendes schaffen. Noch heute sagt er immer wieder „schmieren“, wenn er eigentlich malen meint. „Ich möchte mich nicht als Künstler bezeichnen“, sagt Hermann-Josef Schnell. „Es ist eine größere Kunst, Eltern zu sein und einem Kind Gradlinigkeit, Aufrichtigkeit und Toleranz beizubringen.“
Nach der Krankheit fand er mehr Zeit für die Malerei. Und sein Motiv war von da an fast ausschließlich Menden. Geht man bei dem 58-Jährigen durchs Haus, kommt schnell das Gefühl auf, die Stadt ist bei ihm eingezogen. Überall hängt Menden an den Wänden. An die 150 Bilder hat er wohl bis heute von seiner Stadt gemalt - davon rund 80 verkauft.
Jeden Abend zieht sich Hermann-Josef Schnell auf seinen Dachboden zurück und arbeitet. Dann kann es auch mal ein Uhr nachts werden. Er ist froh, eine Partnerin zu haben, die dafür Verständnis hat. Aber anders könnte er wahrscheinlich auch nicht leben. „Ich rede durch das Bild. Was ich im Kopf und im Herzen habe, versuche ich, aufs Papier zu bringen.“

 

Ein Leben voller Kontraste

Alexander Wotschel blättert eine Mappe durch und zeigt auf ein schlichtes Motiv. Eine weiße Häuserwand und eine dunkle Hecke bestimmen das Bild. Und genau darum gehe es in der Malerei, erklärt er. Um Kontraste, malerische Momente, Licht und Schatten.
Vielleicht ist das wie mit den Kontrasten in seinem Leben. Als Hausmeister arbeitet der 57-Jährige heute im Seniorenheim in Fröndenberg und versucht, immer wenn er nach Hause kommt, zu malen. „Das ist für mich Entspannung.“ Seit 13 Jahren findet er für die Kunst nur noch in seiner Freizeit einen Platz.
Vorher war er Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Nischni Tagil. Dort hatte er ab 1968 Malerei und Kunstgeschichte studiert - nach dem Abschluss auch für zwei Jahre an der Kunstakademie in Moskau. 1995 kam er aufgrund der politischen Situation nach Deutschland. Russen mit deutschen Wurzeln waren in seiner Heimatregion nicht mehr erwünscht. „Aber man darf nicht zurücksehen, sondern immer nur nach vorne“, sagt Alexander Wotschel.
Als Kunsterzieher konnte er in Deutschland wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse nicht arbeiten, also wurde er Hausmeister. Aber wenigstens könne er einmal pro Woche die Bewohner des Seniorenheims unterrichten. Trotzdem gehört seine Leidenschaft weiter der Malerei. Ihm gehe es darum, den Menschen etwas Schönes nahe zu bringen, sagt Alexander Wotschel. Es sei kontraproduktiv, wenn so viel schlechte Kunst gezeigt werden würde, weil dass die Menschen von der Kunst entfernt. Gute Kunst bedeutet für ihn, wenn eine Idee und die Seele des Künstlers in einem Bild zu erkennen sind.

 

2006 malte Hermann-Josef Schnell das Aquarell
„Vor der Antoniuskapelle”. Beim Malen konzentriert er sich
oft auf das Licht. Als Künstler fühlt er sich jedoch nicht.


Weil er die meisten Bilder von Menden schon verkauft hat,
produzierte Alexander Wotschel einfach ein neues.
„Ich male sowieso jeden Tag.” Für ihn ist ein Bild gut,
wenn eine Idee und die Seele des Künstlers
in ihm zu erkennen sind.


Heinrich Löffler und seine Sicht auf das
Wohngebäude des Bauernhofs Lange in Hüingsen.
Das Aquarell stammt aus dem Jahr 1995.


Georg Hanke wollte mal eine Sammlung von
Mendener Winkeln und Ecken zusammenstellen.
In Öl hat er in diesem Jahr die Mendener Mühle festgehalten.

Fotos: Marcel Näpel

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Der Text erschien in einer gekürzten Fassung.

© Westfalenpost, 9. September 2008