Im Kurort knistert die Luft

Die Fantastischen Vier erhalten in Hahnenklee bei Goslar den Paul-Lincke-Ring

Glatt und stumm ruht der Kranichsee. Die Sonne scheint, die Sitzbänke sind gefüllt. Auf der Terrasse des Ramada Hotels wird Kaffee getrunken und irgendwie ist wohl alles wie immer. Obwohl: ein Krankenwagen, ein Polizeiwagen, RTL, SAT1, wartende Menschen mit Fotoapparaten vor dem Kurhaus. In Hahnenklee knistert die Luft. Auch Oberbürgermeister Henning Binnewies hat seine schwere Bürgermeisterkette angelegt.
Alle zwei Jahre wird der kleine Ort bei Goslar zum Zentrum der deutschen Unterhaltungsmusik. Seit 1955 verleiht die Stadt Goslar den Paul-Lincke-Ring an Künstler, die sich um „Komposition, Textdichtung und Interpretation von Unterhaltungs- und Tanzmusik sowie heiteren musikalischen Bühnenwerken“ verdient gemacht haben. Der Preis trägt den Namen des Berliner Komponisten, weil der hier die letzten Monate seines Lebens verbrachte.
1983 bekam Ralph Siegel die Auszeichnung. Immerhin hatte er für Nicole ein Jahr zuvor „Ein bisschen Frieden“ geschrieben. Deutschlands einziger Sieg beim Eurovision Song Contest. Freddy Quinn, Roll Zuckowski, Udo Lindenberg. Und jetzt also die Fantastischen Vier.
Grinsend betreten die vier Musiker das Kurhaus, winke winke, Thomas D hält mit seiner Kamera auf die Szenerie und „Walt Kracht & his Orchestra“ schmettern „Lasst den Kopf nicht hängen“ von Paul Lincke. Die tröstenden Worte sind aber wohl nicht für Smudo, Thomas D, Michi Beck und And.Ypsilon gedacht. Der Kopf ist gerade, stolz, die haben ihren Spaß. Mit 40 Jahren im Kurhaus, das ist ja wie mit 20 in der zehnten Klasse – nur umgekehrt und irgendwie witziger. Gerade als Michi Beck sein Kaugummi unter den Kurhaus-Stuhl kleben will, kann Thomas D ihn noch abhalten.
Bürgermeister Henning Binnewies sagt, man wolle dem Andenken an Paul Lincke die Treue halten und man begegne dem Geist der Zeit. „Die Fans sitzen ja alle hier“, sagt er. Man blickt auf die Stuhlreihen im Kurhaus und wartet darauf, dass der Bürgermeister grinst.
Ralf Niemczyk, Journalist und Biograf der Fantastischen Vier, hält die Laudatio und erklärt noch mal, wie der Hip-Hop nach Deutschland kam und wie diese vier Männer vor 20 Jahren im Jugendhaus zu Heslach ihren ersten Liveauftritt hatten. Später grinsen sich Smudo und Ralf Niemczyk an und versichern sich, das sei ja ihre erste Laudatio gewesen.
Für die Dankesrede tritt Smudo ans Mikrofon und grüßt zuerst seine Schwiegermutter, die in der zweiten Reihe sitzt. „Ich fürchte, heute ist der Tag, da sind die Fantastischen Vier im Pop-Establishment angekommen“, sagt Smudo und lächelt. „Aber wir wären nicht hier, wenn wir das nicht cool finden würden.“ Dann packt er den Ring aus seiner Schatulle, zitiert „Herr der Ringe“ – sie zu knechten – und trägt sich ins Goldene Buch der Stadt ein.
Sie sind nicht nur im Pop-Establishment angekommen, sondern längst im Kreis der Familie. Auf dem Fußweg zum Paul-Lincke-Platz, wo eine im Boden eingelassene Platte mit dem Namen der Band enthüllt wird, dackelt Thomas D am Ende der Gesellschaft hinterher, wundert sich kurz, dass er ein fremdes, fünfjähriges Kind an der Hand hält und erzählt dem Kleinen und seiner Mutter vom eigenen Nachwuchs.
Am Ende, als alle Autogramme auf Zettel und örtliche Informationsblätter gekritzelt sind, steigen die vier Männer in Taxen und winken grinsend. Ein paar dunkle Wolken ziehen vorüber, irgendwo schreit eine Krähe und auf dem Vorplatz der Bäckerei Moock steht ein elektrischer Rollstuhl.
„Wenn euch der Krach dann wachgemacht hat / seid ihr willkommen in der Stadt / schau dich hier um und dann in dich hinein / denn jeder brauch ‘nen Platz zum glücklich sein.“ Das schrieben die Fantastischen Vier 1999 in dem Song „Die Stadt die es nicht gibt“. Heute haben sie diesen Platz gefunden. In Hahnenklee.

 

Fotos: Tim Meyer

 

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Die Tageszeitung, taz, Ausgabe Nord, 9. Mai 2009