Ein Anwalt am Fließband der Fragen

Seit 24 Jahren berät Michael Kringe für die Verbraucherzentrale Menschen in juristischen Fragen.

Er trägt ein grünes Cord-Sakko, weißes Hemd, gestreifte Krawatte. Vor ihm liegt ein Zettel mit einer Liste voller Namen. Er wartet. Und dann kommen sie, setzen sich im 20-Minuten-Takt an seinen Tisch und bitten um Hilfe. "Viele Leute glauben, sie können hier ihre Probleme abladen und wieder gehen", erklärt Michael Kringe. "Aber ich kann nur Anleitungen zum Handeln geben." Die Entscheidungen müsse jeder selbst treffen.
Seine Funktion bezeichnet er als "Problembewältigungs-Dienstleister". In der Siegener Geschäftsstelle der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen berät der selbständige Anwalt Michael Kringe heute wieder drei Stunden lang die Verbraucher. Seine Kanzlei hat der 60-Jährige in Wilnsdorf, die Rechtsberatung in der Verbraucherzentrale macht er seit 24 Jahren.
Ein Bausparvertrag, der mit einer 82-Jährigen abgeschlossen wurde, ein falscher Grabstein, überteuerte Internetrechnungen. Heute ist wieder reger Betrieb in der Rechtsberatung. "Auch wenn es sich manchmal wie am Fließband anfühlt, muss man bei jedem wachsam bleiben und das individuelle Problem sehen", sagt Michael Kringe. 545 Rechtsberatungen mit einem Anwalt gab es 2006 in der Siegener Geschäftsstelle.
Vor allem der Telekommunikationsmarkt sorgt bei Michael Kringe für eine volle Terminliste. Ein Anbieterwechsel funktioniert nicht, Rechnungen sind fehlerhaft und auf konkrete Anschreiben bekommt der Kunde keine Antworten. "Die Telekommunikations-Unternehmen inszenieren bewusst ein Chaos, das den Kunden verunsichert", sagt der Anwalt. Rechnung aus Ort A, Lieferung aus B, Kontaktadresse in C. Wenn ein Kunde nicht zahlt, kommt schnell ein Anwaltsschreiben. "Viele begleichen dann auch fehlerhafte Rechnungen, weil sie Angst haben", erklärt Michael Kringe. "Selbst wenn ich denen als Anwalt schreibe, verschwindet das in einem schwarzen Loch." In dieser Hinsicht seien alle großen Unternehmen gleich.
"Halten Sie durch und ignorieren Sie die Forderungen", rät er einem Ehepaar. Es soll Kosten für ein Modem begleichen, das es gar nicht hat. Reaktion der Firma auf die Schreiben: Fehlanzeige. Nur wenn das Unternehmen eine Mahnung schicke, sollen die Leute mit Widerspruch reagieren, sagt Michael Kringe. "Ich kann das nur schlecht aushalten", erklärt die Frau und schaut ihren Mann an. "Und er muss dann meine Laune ertragen."
Die Arbeitsgebiete des Rechtsberaters betreffen alle Verträge, die im Alltag abgeschlossen werden sowie den außergerichtlichen Schriftverkehr. Doch es tauchen immer wieder Probleme auf, die nicht mit einem Blick in Verträge gelöst werden können. Oder es gibt Barrieren zu den Kunden. "Manchmal ist es schwierig herauszufinden, was die Leute wollen." Letztendlich müsse er ihnen glauben und sie ihren Aussagen entsprechend beraten. "Einige Menschen trauen sich nicht zu erzählen, dass sie etwas unterschrieben haben", sagt Kringe. Berät man sie falsch und die Wahrheit kommt erst vor Gericht heraus, müsse der Betroffene die Konsequenzen selbst tragen.
Für die Verbraucher ist es nicht immer leicht zu verstehen, wo in der Justiz der Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen liegt. Oder was bei der Verbraucherberatung noch wichtiger ist: Wie schwer es sein kann, an verlorenes Geld wieder heranzukommen. Einem älteren Paar, das Probleme mit einem Bauunternehmer hat, kann Michael Kringe nur erklären: Wenn sie klagen und gewinnen, der Bauunternehmer aber in die Insolvenz geht, müssten sie die Prozesskosten tragen. Bei einem Streitwert um 1000 Euro und Prozesskosten, die nur knapp darunter liegen, ist die Entscheidung nicht leicht. "Ich kann schon so lange nicht schlafen", erklärt der Mann und reibt sich durchs Gesicht.
Auch wenn Michael Kringe an diesem Tag viele Fälle bekannt waren, komme immer wieder neue Probleme dazu. "Ich staune dann jedes Mal, dass es so etwas Beklopptes gibt." Fünf Jahre will er die Arbeit noch machen. Vielleicht ist die Verbraucherwelt dann noch turbulenter geworden. Und vielleicht bleibt er gerade deswegen etwas länger.

 

HINTERGRUND

Die Verbraucherzentrale bietet in allen NRW-Zweigstellen eine Rechtsberatung an. Speziell geschulte Verbraucherberater helfen und geben erste Tipps. Handelt es sich um einen komplizierteren Sachverhalt, kümmert sich ein Rechtsanwalt um das Problem. Auf Wunsch übernehmen Jurist oder Berater auch den außergerichtlichen Schriftverkehr. Nach Information der Verbraucherzentrale ist so der Gang vor Gericht oft vermeidbar. Die Rechtsberatung bei einem Verbraucherberater kostet 7, bei einem Anwalt 26 Euro. Die Regelung des außergerichtlichen Schriftverkehrs ist mit weiteren Kosten verbunden. Wer kein oder nur ein geringes Einkommen hat, für den ist eine kostenlose Sozialberatung möglich. Abseits der nächsten Zweigstelle sind die Rechtsberater auch telefonisch zu erreichen. Informationen: www.vz-nrw.de.

"Ich staune dann jedes Mal, dass es so etwas
Beklopptes gibt", sagt Anwalt Michael Kringe
Foto: Tim Meyer



Artikel als PDF-Datei

© Westfalenpost, 14. Dezember 2007