Die Firma saß schon
immer mit am Tisch

Julia Schomaker ist 30 Jahre alt, hat einen zweijährigen Sohn
und leitet mit ihrem Vater die Buchbinderei Walter Schomaker

Lange schaut sie ihrem Sohn einfach nur dabei zu, wie er versucht, einen Spielzeugbus zusammenzubauen. Irgendwann ringt sie sich durch und sagt: „Ich fahre kurz ins Büro. Was macht Mama da?" „Abbeit", antwortet Matti und spielt ungerührt weiter.
An diesem Tag ist Julia Schomaker etwas unsicher, weil sich nicht wie sonst ihre Mutter um den Zweijährigen kümmert. Sie hat zwar auch zur Frau ihres Vaters, die heute bei Matti bleibt, Vertrauen, fühlt sich aber trotzdem ein bisschen unwohl.
Julia Schomaker ist 30 Jahre alt und leitet mit ihrem Vater die Buchbinderei Walter Schomaker. Diese Chance sei ein offenes Scheunentor gewesen, sagt sie. Sie wuchs mit der Firma auf und in sie hinein. Die Firma saß immer mit am Tisch — bis heute. „Die Firma ist bei uns zu Hause", sagt Julia Schomaker. Entscheidungen trifft sie mit ihrem Vater nicht immer im Büro, sondern beim Abendessen.

BWL ist langweilig

Nach Abitur und Banklehre begann Julia Schomaker ein BWL-Studium an der privaten Hochschule BiTS, Business and Information Technology School, in Iserlohn, obwohl sie gerne Medizin studiert hätte. Eigentlich findet sie heute noch Medizin interessanter als Wirtschaft. Sie entschied sich trotzdem für die Familientradition. Vielleicht ist es wie mit der Schnecke und ihrem Haus. Man ist miteinander verwachsen.
Nach dem Vordiplom wechselte sie an die FH Dortmund, weil ihr das BiTS zu elitär war. Aber grundsätzlich änderte sich auch an der anderen Hochschule nichts. „BWL ist ein langweiliges Studium", sagt sie. Aber sie wusste, was am Ende auf sie zukommt, denn parallel zum Studium arbeitete sie jeden Tag zwei bis drei Stunden in der Firma.
Sie betritt ihr Büro, schaut kurz auf den Schreibtisch und begrüßt im Nebenraum ihren Vater mit einem Kuss. Dann ordnet sie schnell die Post und macht sich auf den Weg zur Produktionshalle. Als sie die Tür aufstößt, brandet Lärm auf. Förderbänder laufen, Messer stanzen, Maschinen kleben. Schon als Julia Schomaker ein junges Mädchen war, liebte sie die Fahrten mit dem Gabelstapler und den Geruch des Papiers.
Die Firma Walter Schomaker bindet den Katalog eines schwedischen Einrichtungshauses, Werbebroschüren oder Telefonbücher. Das Unternehmen hat in Menden rund 100, zusammen mit den Standorten in Dülmen und Polen insgesamt etwa 200 Mitarbeiter. 2005 stieg Julia Schomaker in die Firma ein und kümmerte sich um alles, was anfiel. 2006 wurde sie Geschäftsführerin und teilt sich die Stelle mit ihrem Vater. Sie ist für die Zahlen zuständig: Buchhaltung, Rechnungsprüfung, Bankgeschäfte. Ihr Vater konzentriert sich auf besondere Kunden.
Die Arbeiter und Arbeiterinnen lächeln, als Julia Schomaker ihnen einen Guten Tag wünscht. Einige kommen zu ihr, geben ihr die Hand. Julia Schomaker hat Respekt vor der Arbeit, die an den Maschinen geleistet wird. Als Schülerin hat sie manchmal in den Sommerferien in der Produktion mitgearbeitet. „Das Papier in die Maschinen zu schaufeln, ist harte körperliche Arbeit", sagt sie. „Für die Frauen, die bei uns arbeiten, ist das für meine Begriffe manchmal an der Grenze."
„Ich mag unsere Mitarbeiter", sagt Schomaker. „Aber ich mag es nicht, wenn ich nicht mit Argumenten weiterkomme." Viele Leute arbeiten in der Firma länger als sie auf der Welt ist. Und bei manchen gebe es einen Starrsinn, der nicht leicht zu brechen sei. Als sie ein neues Computersystem einführte, kam es ihr vor, als wollten einige Mitarbeiter am liebsten mit einem Rechenschieber arbeiten. Sie lernte, dass sie harte Entscheidungen treffen muss. „Das ist eine Gratwanderung zwischen Mensch und Chef." Doch letztendlich gehe es nicht um Einzelschicksale, sondern um das Unternehmen.
In den Jahren, als sie in die Firma kam, passierte viel. Ihr Vater entschied sich dafür, die Standorte Menden und Iserlohn auf einem neuen Gelände in Menden zusammenzulegen. Er entschied sich auch dafür, weil er wusste, dass seine Tochter die Verantwortung mit übernimmt. Das ging nicht spurlos an Julia Schomaker vorüber. Zwei Monate vor Mattis Geburt bekam sie Wehen. Sie musste ins Krankenhaus. „Das war ganz grausam. Auch weil ich wusste, dass der Neubau in vollem Gang war."

„Ich könnte mir nicht vorstellen, nur zu Hause zu sein."
Julia Schomacker

Lange hielt sie es nach der Geburt nicht zu Hause aus. Nach drei Monaten ging sie wieder zur Arbeit. Sie wurde gebraucht. „Der Wille zählt", sagt Julia Schomaker. „Ich könnte mir nicht vorstellen nur zu Hause zu sein." Dafür habe sie kein Händchen und keine Leidenschaft. Trotzdem zweifelte sie am Anfang. Sie dachte bei der Arbeit oft an ihr Kind und fragte sich, ob Matti unglücklich sei. „Man ist schon hin- und hergerissen, aber es gibt keine optimalere Lösung."
Zwei Jahre lang fand sie nur selten Ruhe, schlief nachts nie länger als drei Stunden. Erst seit einigen Wochen ist Matti ruhig. Und wenn sie wach lag, nutzte sie die Zeit, um über die Arbeit nachzudenken. Die Firma saß nicht mehr nur am Tisch, sie kuschelte sich auch mit ins Bett. Aber mit Matti und ihrer neuen Rolle als Mutter hat die Firmenchefin auch etwas für ihre Arbeit gelernt. „Ich bin entscheidungsfreudiger geworden", sagt sie.
Wenn Julia Schomaker zu Hause ist, gehört ihre Aufmerksamkeit Matti. Zeit für sich, den Partner und Freunde komme etwas kurz. Andere Dinge stehen an erster Stelle. „Wir sind beide sehr ehrgeizig", sagt Julia Schomaker über sich und ihren Mann, der seit ihrem Einstieg auch in der Buchbinderei arbeitet. Trotzdem wird sie heute wahrscheinlich etwas eher wieder nach Hause fahren. Zu Matti.

 

 



Fotos: Manuela Schwerte

 


Artikel als PDF-Datei

© Westfalenpost, 9. September 2008