Hektik um drei Uhr in der Früh

Nachts auf der Intensivstation bei den Krankenschwestern
Andrea Werner und Stephanie Schmitz

Als Andrea Werner gegen Mitternacht einen Schluck aus der Tasse mit der heißen Nudelsuppe trinkt, ist es ruhig. Der Gang liegt im blassen Schein von zwei Neonröhren und, in zwei Zimmern brennt ein Nachtlicht. „Wenn es so bleibt, ist es eine gute Nacht", sagt sie.
Gemeinsam mit Stephanie Schmitz ist sie heute die Nachtwache auf der Intensivstation des St.-Vincenz-Krankenhauses. Der Dienst der Krankenschwestern hatte vor einigen Stunden gar nicht ruhig angefangen. Um 20 Uhr wird eine 53-jährige Frau gebracht — Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Schwester Stephanie schiebt die Patientin in ein Zimmer, schließt sie an einen Monitor an. Alles Routine. Für die Aufteilung der anderen Patienten müssen knappe Absprachen ausreichen. Schwester Stephanie kümmert sich um die neue Patientin und ihre Zimmernachbarin, Schwester Andrea übernimmt die anderen vier.

Mit einer großen Nadel

Internistin Asli Bakan kommt auf die Station. Die Bauchspeicheldrüsen-Patientin soll einen ZVK, zentralen Venenkatheter, bekommen. Die Ärztin setzt das Ultraschallgerät an den Hals der Frau, lokalisiert die Vene und malt zwei Striche auf die Haut. Schwester Stephanie reicht ihr Mundschutz und Kittel, bereitet Spritzen vor. Nach der örtlichen Betäubung sticht Asli Bakan mit einer großen Punktionsnadel in den Hals und sucht die Vene. Als sie die Wand der Blutbahn durchstößt, schießt dunkles Blut in die Spritze. Schwester Stephanie steht neben der Patientin — sie ist bei ihr.
Die Entzündung wird mit Antibiotika behandelt. Die Ursachen sind häufig eine schlechte Ernährung, Alkohol, oder eine genetische Veranlagung.
Asli Bakan kann sich bald wieder hinlegen, sie hat nur Bereitschaft. Schwester Stephanie und Schwester Andrea müssen wachbleiben. Bis morgen früh um 6.30 Uhr.
Im Nebenzimmer leert Schwester Andrea die Dränage bei einem Patienten und bringt die rote Flüssigkeit weg. Der Mann wurde am Bauch operiert — Tumor. 150 Milliliter trägt sie in den gelben Bogen ein. Über jeden Patienten muss hier Buch geführt werden. Es wird alles aufgeschrieben, was oben reingeht und unter wieder herauskommt. Aus dem Bett nebenan fragt die Patientin, was eine Lungenembolie ist. Gerade als Schwester Andrea erklärt, wie ein Blutpfropfen ein Gefäß in der Lunge verstopft, klingelt das Telefon. „Das ist aber heute wuselig", sagt sie. Es ist nicht die Leitstelle, sondern die Tochter einer Patientin.
Die 35-jährige Andrea Werner arbeitet seit 12 Jahren auf der Intensivstation. „Ich hatte einen Heidenrespekt vor der Station", sagt sie. Trotzdem ist sie geblieben. Nur manchmal gibt es Tage, da kann sie es nicht haben, wenn sich etwa ein Patient erbrechen muss.
Sie geht zum Tumorpatienten und gibt ihm eine Spritze gegen Thrombose. „Darf ich einen Witz erzählen?", fragt er. „Man muss im Leben lachen, dann lebt man länger." Er erzählt, Schwester Andrea lacht. Als er sich auf die Seite dreht, muss er sich übergeben, will aber danach gleich noch einen Witz erzählen. Auch die Bettnachbarin lacht und als im Flur ein Warnton losgeht, sagt sie trocken: „Musik haben wir auch noch."
Schwester Stephanie ist seit 28 Jahren Krankenschwester auf der Intensivstation. Schlimm sei die Arbeit nur, wenn einer stirbt. Wie vor zwei Wochen, als ein Patient verblutete. „Da habe ich zwei Tage dran geknabbert." In solchen Situation redet sie viel mit ihren Mann oder macht etwas, um runterzukommen. „Ich bin zu Ikea gefahren und habe den Rasen gemäht."

Ein Notfall kommt

2.30 Uhr. Im Aufenthaltsraum kämpfen die beiden Krankenschwestern gerade mit ihrem toten Punkt. Dann klingelt das Telefon: die Feuerwehrleitstelle — Verdacht auf Hirnblutung. Eine halbe Stunde später schwingt die Tür auf, und drei Rettungsassistenten schieben den Patienten rein. Seine Frau hatte den Notruf gewählt, weil er aufgewacht war und einfach schrie. Feuerwehrleute und Polizisten mussten ihn festhalten, damit er eine Beruhigungsspritze bekommen konnte. Die Notärztin spricht mit Asli Bakan. „Es kann auch eine Psychose sein." Schwester Stephanie und Schwester Andrea fixieren ihn mit einem Bauchgurt. Zur Sicherheit. Dann wird er für die Computertomographie vorbereitet.
Gleichzeitig ruft die Patientin mit der entzündeten Bauchspeicheldrüse, weil sie starke Schmerzen hat, und im Nebenzimmer setzt sich ein Patient auf die Bettkante, weil er mal muss. Auf dem Flur reden noch die Rettungssanitäter, Notärztin und Asli Bakan miteinander. Das Gesicht von Schwester Stephanie ist angespannt und konzentriert. Wenn alles parallel passiert, muss sie Prioritäten setzen.
Langsam legt sich die Hektik und für einen Moment wird es ruhig auf der Intensivstation. Der Mann hat keine Hirnblutung, und die Entzündung der Bauchspeicheldrüse ist zwar schwer, aber die Patientin ist stabil. Gleich werden Schwester Stephanie und Schwester Andrea anfangen, einige Patienten zu waschen. Die meisten können jetzt sowieso nicht mehr schlafen. Als sich Schwester Andrea eine Schüssel vom Regal nimmt, sagt sie: „Heute bin ich froh, wenn ich im Bett liege."

Um drei Uhr morgens bringt der Rettungsdienst einen Mann —
Verdacht auf Hirnblutung. Die Krankenschwestern Andrea Werner
und Stephanie Schmitz kümmern sich um ihn.
Auch Ärztin Asli Bakan (r.) ist auf die Intensivstation gekommen.

Schwester Andrea gibt einem Patienten eine Spritze.
Dann erzählt er ihr einen Witz und muss sich kurz darauf erbrechen.

Fotos: Marcel Näpel

 

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© Westfalenpost, 11. September 2008