Ein Streifzug in Istanbul Oktober 2008 Überall riecht es nach Fisch. Auf der Galata-Brücke reihen sich die Angler wie Legehennen aneinander. In kleinen Eimern zappeln und ersticken langsam lütte Fische, die die Männer aus der Bosporusbucht des Goldenen Horns ziehen. Alle zwanzig Meter gibt es einen Stand mit Zubehör: Haken, Schnüre, Gewichte und Becher voller Schrimps – als Köder. Wenn die letzten Angler die Brücke verlassen haben, kleben auf der Brüstung nur noch ein paar angetrocknete Krustentierfragmente. Und es stinkt. Auf der anderen Seite der Brücke drei Kähne, auf denen halbe, gebratene Fische in Brot verkauft werden – und Touristenschiffe. Mit einem dieser Boote geht es raus Richtung Bosporus, von Europa nach Asien, unter großen Hängebrücken hindurch. Auf dem anderen Kontinent, am Ufer entlang, stehen Häuser mit verschlossenen Jalousien. Auf den Terrassen Sitzmöbel, unter Schutzbezügen verpackt. Wenn es an Bord dieses Schiffes Lautsprecher geben würde, müsste der Kapitän jetzt erzählen, dass in diesen Villen Hollywoodstars leben, wenn sie nicht gerade in Berlin mit der gesamten Familie am Wannsee wohnen, weil sie mit Quentin Tarantino drehen. Aber weil das keiner erzählen kann, kommt ständig ein Mann herumgelaufen und will Chips, Tee und frisch gepressten Saft verkaufen. Es ist windig.
Neben mir an der Reling sitzt eine Frau mit Kopftuch und puhlt Pistazien aus den Schalen. Sie sagt etwas zu mir auf Türkisch. Ich zucke mit den Schultern. Sie wiederholt ihren Satz voller Überzeugung und grinst danach ihre Begleiterin an. Auf dem Parkplatz vor der Hagia Sophia werden Bussen eingewiesen. Ein Haufen weißer Riesen. Touristen schieben sich in die Moschee, die heute ein Museum ist und ganz weit in der Vergangenheit eine Kirche war. Sie holen sich Geschichte auf ihre Speicherchips. Zoomen sich an das Zentrum der Macht. Vielleicht hockt ja in einem der Souvenirshops Justinian, der letzte große Kaiser der Spätantike. Unter ihm gelangte Konstantinopel zu Ruhm und wurde Zentrum des byzantinischen Reichs. Auch die Hagia Sophia, die „Kirche der Heiligen Weisheit“, ließ er bis 537 nach Christi errichten. Durch die Altstadt wandere ich zurück Richtung Goldenes Horn. Bergab über eine Einkaufstraße. Taschen, Stoffe, Menschen mit vollen Plastiktüten. In manchen Straßen konzentrieren sich Lampenverkäufer oder reihenweise Geschäfte mit Badezimmerarmaturen. Die Tradition der Zünfte ist noch nicht ganz ausgestorben. Den Basar durchquere ich mit geschlossenen Augen und öffne sie erst wieder als ich das Tageslicht spüre und Männer schreien höre. Sie stehen in ihren Geschäften an der Auslage, brüllen die vorbeischlendernden Menschen an und halten ihnen Probierstückchen Käse unter die Nase. Sie stacheln sich gegenseitig auf. Der Mann vom Käseladen ruft, der Nussverkäufer antwortet doppelt so laut. Sie wollen nichts verkaufen. Sie wollen kämpfen. Nebenan nimmt ein Eisverkäufer seinen 70 Zentimeter langen Metallstab, mit dem er sonst das Eis in die Tüten presst und fängt an, in einem Bottich einen Rhythmus zu trommeln. Irgendwie geht es hier immer um Lärm. Bevor ich wieder die Galata-Brücke überquere, ziehe ich die Schuhe aus, stopfe sie in eine Plastiktüte und betrete die Eminönü Yenigamii Moschee. Neben mir wird gerade eine Touristin zurückgepfiffen, weil sie schon auf dem Teppich vor dem Eingang steht, aber noch ihre Schuhe an hat. Dann im Innern: Stille. Endlich. Auch wenn ich jetzt wieder an den Tanker und den Fußschweiß denken muss. Die Waschstelle im Hof der Moschee wird hier nicht von allen genutzt. Die Katzen teilen sich das Revier mit Hunden. Unter dem Galata-Turm regiert eine Gruppe von fünf Hunden. Als sie von einem Streifzug zurückkehren, bellt ihr Anführer. Seinen bulligen Körper bewegt der Mischling etwas schwerfällig, aber seine Kumpanen trotten brav hinterher. Die Tiere sehen nicht so aus, als hätten sie große Probleme, satt zu werden. Den Tag über liegen sie meistens irgendwo in Beeten oder auf Pappen und dösen. Die Betriebsamkeit der Menschen um sie herum, scheint sie nicht zu stören. Die letzten Schritte führen mich in den Stadtteil Beyoğlu, der im 13. Jahrhundert als genuesische Handelskolonie gegründet wurde und heute das Zentrum des westlich geprägten Istanbuls ist. Als ich abends über die Einkaufsstraße İstiklâl Ceddesi schlendere, wo sich Modegeschäfte und Restaurants aneinanderreihen, dampft alle hundert Meter ein Kastanienbrater. Irgendwo in einer Seitenstraße, vor einer Kneipe, sitzt ein Mann mit seiner Gitarre. Ihm gegenüber, an die Wand gekuschelt Männer und Frauen auf kleinen Hockern – und sie singen lauthals das Lied mit. Ein paar Fußballfans drängen Richtung Taksim-Platz, Galatasaray hat gegen Olympiacos im Uefa-Cup 1 zu 0 gewonnen. Und jetzt, hier in der Dunkelheit sind Großstädte doch eigentlich austauschbar. Wenn da nicht der fremde Sound, diese fremde Sprache wäre – und die Polizisten, die mit ihren Wagen am Taksim-Platz stehen und mit umgehängten Maschinenpistolen warten. |
Fotos: Tim Meyer
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