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Wollen wir Alleskönner oder Spezialisten?

Lokale Helden

Wenn ein Printredakteur zum Videojournalisten wird

Frank Tischhart kneift die Augen zusammen. Die Sonne scheint, es ist warm. Aber wegen der Sonne blinzelt er nicht. Die rechte Hand am Stativ, den Blick aufs Spielfeld, auf den Ball gerichtet. Wie ein kreisender Adler – nur bewegungslos. Aber die Beute macht sich heute rar. Die Fußballer von SuS Langscheid/Enkhausen und DSC Wanne-Eickel rennen hin und her. Kaum Chancen, keine Tore. In seinem Artikel wird Frank Tischhart schreiben: „Beide Teams zeigten taktisch eine Meisterleistung.“ Das kann er nur schlecht mit seiner Videokamera festhalten. Nur selten drückt Tischhart den Aufnahmeknopf. „Dann habe ich morgen weniger Arbeit, die Szenen zusammenzuschneiden.“
Der Schnitt hat ihn am Anfang die meisten Nerven, die meiste Zeit gekostet. „Das dauert alles zu lange“, dachte Frank Tischhart, als er sein erstes Video am Rechner bearbeitete. „Ich musste ja irgendwie auch noch eine Zeitung machen.“ Seit drei Monaten ist der Sportredakteur auch Videojournalist. Dreht sonntags auf irgendeinem Fußballplatz im Hochsauerlandkreis ein Spiel, schneidet es montags zusammen und schickt es dem Internetportal DerWesten. Mit seinem Kollegen Rainer Göbel bildet Frank Tischhart eine von fünf Video-Projektredaktionen der WAZ Mediengruppe. Für den 42-Jährigen nicht nur Zeitgeist, sondern vor allem ein großer Spaß.

"Ich habe vorher mal meinen Sohn am Strand gefilmt"

Angefangen hat es eher aus Zufall. Tischhart und Göbel baten das Videoteam von DerWesten, bei ihrer Großveranstaltung „Sauerländer Fußballnacht“ in diesem Sommer ein Video zu drehen. Die Profis schlugen den Redakteuren aber direkt vor, es doch einfach selbst zu versuchen. Göbel und Tischhart bekamen eine halbtägige Einführung und irgendwann standen Schnittrechner, Videokamera und Mikrofon im Büro in Neheim. Erfahrungen hatten die beiden Redakteure nicht. „Ich habe vorher mal meinen Sohn am Strand gefilmt“, sagt Frank Tischhart. Mehr nicht.
„Die erwarten schon, dass wir mit einer Kamera einen Film drehen, der so wie in der Bundesliga aussieht“, meint Tischhart. „Nur arbeiten die dort eben mit 12, 14 Kameras.“ Wer „die“ sind, sagt er nicht. Vielleicht ist er das auch ein bisschen selbst.
Für Markus Hündgen, Videoredakteur bei DerWesten, ist es formal reizvoll, wenn Amateure Videos produzieren. „Sie gehen neue Wege, arbeiten ganz authentisch.“  Manchmal würden sie die Technik noch etwas steif benutzen, aber sie sind offen für Kritik. Irgendwann wird die Videokamera für sie ein alltägliches Handwerkszeug sein. Auge und Ohr mit Datenspeicher.Der Videojournalist, kurz VJ, vereint die Aufgaben des Autors, Kameramanns und Cutters. Für seinen Einsatz sprechen verschiedene Gründe: Kostenreduktion, neue Zugangsformen, mehr Nähe zum Geschehen. Verstärkt gibt es ihn seit den 80er Jahren, die Anfänge bei amerikanischen Fernsehsendern reichen bis in die 60er Jahre zurück. Dort hieß er „Selbst-Dreh-Reporter“. Die Entwicklung verlief parallel mit den technischen Innovationen. Die Kameras wurden kleiner und sie konnten mit geringem Aufwand eingesetzt werden. Der private Fernsehsender New York 1 setzte Anfang der 90er Jahre ausschließlich VJs ein, Mitte der 90er Jahre arbeiteten auch die privaten Lokalsender Hamburg 1 und TeleBärn mit VJs. Der Bayrische Rundfunk begann 1994 mit ersten Versuchen. Nach und nach professionalisierte sich der Einsatz der Ein-Mann-Video-Reporter. Ab 2001 stellte die BBC ihre Regionalbüros auf Videojournalisten um und 2003 setzte der Hessische Rundfunk erstmals VJs ein, die seit 2004 im Regelbetrieb arbeiten.
„Ich bin schon aufgeregt, wenn ich etwas am Rand filme und nicht weiß, was in meinem Rücken auf dem Spielfeld los ist“, sagt Frank Tischhart. Seinem Kollegen passierte es dreimal, dass er gerade das Publikum im Bild hatte, als ein Tor fiel. Trotzdem lässt er jetzt kurz das Stativ los und holt den Block aus der Tasche. In der ersten Halbzeit muss er alles parallel erledigen. In der zweiten filmt die Fotografin Laura Boucsein, damit sich Tischhart etwas intensiver auf das Spiel konzentrieren kann. „Und in der Pressekonferenz wird das Spiel auch noch einmal zusammengefasst“, erzählt er. Das hilft ihm, wenn er doch etwas verpasst hat.
Was sie nicht filmen, ist auch nicht passiert. Denn die beiden Redakteure arbeiten ohne Off-Kommentar in ihren Videos. Alles muss sich aus dem gedrehten Material ergeben. „Manchmal würde ich schon gerne etwas sagen“, sagt Frank Tischhart. Er studierte Sport und spielte selbst erfolgreich als Torwart. „Ich bin hier angetreten und wollte aus den Sportlern lokale Helden machen.“ Mit allen Höhen und Tiefen. Mit Leidenschaft. Er will, dass diese Helden an der Tankstelle angesprochen werden. Wenn die Spieler vor die Kamera treten und nach dem Spiel interviewt werden, könnten sie noch schneller dahin kommen. Das prägt sich ins visuelle Gedächtnis ein. Es soll sogar schon Bestechungsversuche mit einer Kiste Bier gegeben haben, weil ein Spieler auch mal vor die Kamera wollte.

"Ein Video kann man nicht einfach nebenbei produzieren"

Die „Supporters Langscheid“ trommeln und singen. Sha lala lala. Ein Spieler von Wanne-Eickel läuft aufs Tor zu und zieht ab. Vorbei. Der Trainer brüllt. Langscheids Coach hört sich dagegen an, als würde er flüstern: „Einverstanden. Passt.“ Frank Tischhart wird diese Chance später in seinem knapp vierminütigen Video in Zeitlupe zeigen. Zwischen die Spielszenen schneidet er Aufnahmen aus der Pressekonferenz und lässt die Trainer seine Bilder kommentieren.
„Unterm Strich interessiert dieses Fußballvideo vermutlich nur die Spieler und die Zuschauer“, meint Roman Mischel, seit vier Jahren freier Videojournalist und Dozent. Aus seiner Sicht wäre es spannender, ein Format zu entwickeln, dass einen Protagonisten begleitet und eine Geschichte erzählt. Aber vielleicht sei es auch überhaupt nicht der richtige Weg, Lokalredakteure, die schon mit ihrer Printproduktion ausgelastet sind, Videos drehen zu lassen. „Ein Video kann man nicht einfach nebenbei produzieren“, sagt Roman Mischel. „Und wenn es sich dann als visuelle Ohrfeige präsentiert, fühlen sich die Nutzer nicht ernst genommen.“ Er sieht in einer Arbeitsteilung eine bessere Lösung – Printreporter und Videojournalist recherchieren gemeinsam eine Geschichte.

Zeitungen sollten nicht versuchen, Fernsehen zu kopieren

Wie Videos bei Zeitungsverlagen aussehen können und wer sie produziert, werde noch diskutiert. Die Beiträge müssten in erster Linie einen Mehrwert zum Text haben. „Ich möchte im Internet keine Nachrichten vorgelesen bekommen“, sagt Roman Mischel. Zeitungen sollten nicht versuchen, Fernsehen zu kopieren. Die Verlage müssten sich bei der Etablierung neuer Formate und Inhalte eher fragen, was der Nutzer denkt, schlägt der Videojournalist vor. Außerdem bestehe im Internet die Chance, Nischenthemen zu besetzen, an die sich das Fernsehen nicht herantraut.
Abpfiff. Im Vereinsheim drängen sich die Zuschauer an der Theke. Auf einem Fernseher zeigt der Videotext die Ergebnisse von anderen Spielen aus der Verbandsliga. Dann die Pressekonferenz. Vier Mann sitzen um einen Tisch herum, es gibt Malzbier und Radler. Frank Tischhart hält das Mikrofon in der linken Hand, den Stift in der rechten. Im Hintergrund steht wieder Laura Boucsein an der Videokamera. Zehn Minuten erzählen die Trainer ihre Einschätzung.
Es ist 17 Uhr als Frank Tischhart langsam seine Sachen zusammenpackt, um zurück in die Redaktion zu fahren. In einer halben Stunde wird er in seinem Büro am Schreibtisch sitzen, das Video vergessen und fünf Seiten Sport für die Montagsausgabe füllen.

Hier gibt es das Video:

http://www.derwesten.de/nachrichten/spezial/zukunftderzeitung/Ein-Printredakteur-wird-zum-Videojournalisten-id1631052.html?tsUser=Ts 

Video: Britta Krane und Tim Meyer
Text: Tim Meyer

 

Video und Text entstanden im Rahmen des Projekts "Zukunft der Zeitung". Die Axel-Springer-Akademie in Berlin unterstützt die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ und hatte zu einem Video-Projekt zum Thema „Journalismus im Jahre 2018“ aufgerufen. Neben der Journalistenschule Ruhr (Essen) nahmen auch die Burda Journalistenschule (München), die österreichische Donau-Universität (Krems), die Georg-von-Holtzbrinck-Schule (Düsseldorf), die MAZ - Schweizer Journalistenschule sowie die RTL Journalistenschule (Köln) teil. Sie alle beschäftigten sich im Film mit der Zukunft ihrer Branche.

Die gesamten Ergebnisse der Journalistenschule Ruhr gibt es auf der Projektseite bei DERWESTEN.de