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Der Geschmack der Massen sollte kein Maßstab sein

Eine Einführung.
Eine Verortung.

Journalisten brauchen keine Botschaft,
sie müssen nur ihren ureigenen Auftrag
erfüllen: an der Macht zu zweifeln.

Richard Dreyfuss

Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz sagte in einem Interview im Trendbuch Journalismus: „Journalisten müssen Abschied nehmen von ihrem alten Aufklärungsideal. Ein Medienunternehmen ist in erster Linie ein Wirtschaftsunternehmen.“
Bedeutet diese Aussage, Journalisten sind heute nur noch Dienstleister, die sich in der Sorge um Anzeigenkunden und Abonnenten jegliche Kanten verbieten oder verbieten lassen müssen?
Alarmierend kommt aktuell hinzu, dass die von Franz Müntefering beschriebenen „Heuschrecken“ – also die Finanzinvestoren – mit der Berliner Zeitung nun in den ersten Zeitungsverlag eingefallen sind. Die Folgen auf die Inhalte des Blattes sind noch nicht abzusehen.
„(…) ich habe den Verdacht, dass uns Journalisten die Maßstäbe verloren gehen, wenn als gut in der Branche gilt, wer und was sich auf dem Medienmarkt gut verkauft. Inhalt und Form werden zur Nebensache“, schreibt der Journalist Kai Hermann und fordert gleichzeitig eine Kritik am eigenen Berufsstand.

Der Geschmack der Massen

Im Hinterkopf sei den Chefredakteuren heute bei der Auswahl der Themen und Texte meist nur noch die Überlegung, was den Leser wohl interessieren könne, meint Hermann weiter. Dies werde immer wieder mit Testlesern und Fragebögen überprüft. Er vermisse heute mutige Redakteure wie den ehemaligen stern-Chef Henri Nannen, der die Meinung vertrat, wenn er sich für eine Geschichte oder ein Bild interessiere, sei das auch für den Leser interessant. Dadurch entsteht zumindest ein klares Profil, weil er nicht versucht dem Geschmack der Masse zu entsprechen, sondern seinen eigenen zur Maxime macht.
In der lokalen Tageszeitung sucht man dagegen lieber den sicheren Weg, ohne anzuecken. Hier zählt meist nur der Maßstab, was der Abonnent nach Meinung der Chefredakteure wohl lesen möchte. Ob das zutrifft, oder nicht vielmehr eine Respektlosigkeit und Entmündigung des Lesers darstellt, spielt keine Rolle. Das Profil wird neblig, und die Texte sind langweilig und brav.
Trotz aller ökonomischen Vorsicht, die durch die andauernde Krise in der Medienlandschaft berechtigt ist, darf der Journalismus nicht seine Unabhängigkeit verlieren und seinen Auftrag vergessen. „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse“, lautet die Selbstverpflichtung der Journalisten im Pressekodex.

Die Abhängigkeiten

Dafür ist es vor allem wichtig, sich niemals in Abhängigkeiten zu begeben. Hans Leyendecker, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, bringt es in einem Interview mit dem Magazin Galore auf den Punkt. Er spricht über Abhängigkeiten in Form von Korruption, die es auch im Journalismus gebe und die seiner Ansicht nach noch gar nicht richtig untersucht werden würden. Er sieht diese Korruption nicht nur bei den Auto- und Reisegeschichten, für die Journalisten Geschenke erhalten oder in fremde Lande gekarrt werden, sondern fasst sie viel breiter: „Im Parlaments- oder Wirtschaftsjournalismus ist es geradezu selbstverständlich, dass man sich einladen lässt“, erklärt Leyendecker. „Ich zuckte schon, als Sie gerade mit ihrem Presseausweis kamen, um umsonst auf den Fernsehturm zu fahren. Es gibt keinen Grund, dass wir hier umsonst reingelassen werden.“
Leyendecker nimmt damit eine konsequente Gegenposition ein zu den oft wie selbstverständlich genutzten Rabatten, die Journalisten gewährt werden. Er ist sich sicher, dass es etwas ändert, wenn man von einem Konzern einmal eingeladen wurde und später über ihn schreiben muss. Ihm ist seine Unabhängigkeit wichtiger als jede Ersparnis. Interessant dabei ist, dass diese Position fast etwas Irritierendes, Gutmenschliches an sich zu haben scheint. Es sollte aber doch gerade für einen Journalisten selbstverständlich sein darauf zu achten, stets seine Unabhängigkeit zu bewahren. Denn wie ist sonst die „wahrhaftige Unterrichtung“ der Öffentlichkeit gegeben, wenn sich die Leser nicht darauf verlassen können, ob die gedruckte Meinung nicht vielleicht gekauft ist?
Wolf Schneider und Paul-Josef Raue formulieren die Aufgabe des Journalisten pathetisch und fassen sie in Das neue Handbuch des Journalismus in einem Aufruf zusammen. Sie erklären, warum die Journalisten immer recherchieren, nachforschen und hinterfragen sollen und nie ihre Neugier, Skepsis und Integrität vergessen dürfen. „Ihr seid für das alles zuständig, für das wenigste ausgebildet und durch fast nichts legitimiert. Aber ohne euch funktioniert sie nicht, die Demokratie.“

Einleitung meiner Diplomarbeit
„Porträts von Menschen mit Macht“,
November 2006.