Ekstase und Harzaroma

„Rocken am Brocken“ – Ein Festival zwischen Wald und Bergen

Gerade als sich in Elend eine weißhaarige Dame aus ihrem Kaffeekännchen einschenkt, fällt etwas außerhalb des Ortes ein junger Mann betrunken von einer Bank. Die Dame merkt davon nichts und der junge Mann schließt selig die Augen, spürt dort unten auf dem Erdboden den pumpenden Bass, der von der Bühne zu ihm herüberdrückt. Dazu singt Ibadet Ramadani von „Super 700“ als weine sie mit jedem Ton eine Träne, während ihre Band einen Soundtrack aus Gitarrengewitter, Keyboardflächen und verschleppten Schlagzeug liefert. Ein Hexentanz.
„Rocken am Brocken“ in Elend bei Sorge. Laute Musik und Ekstase, Brockenwanderung und Harzaroma. Das geht hier alles zusammen. Und gestern sei auch Elends Bürgermeister da gewesen, erzählt Silke Grauenhorst vom Veranstalterteam. Man versteht sich und Ärger mit den Anwohnern habe es auch noch nie gegeben.
Vor einigen Jahren dachten sich Studenten der Hochschule Harz eines Abends in einer Kneipe, man müsste mal ein Rockfestival veranstalten. Also stellten sie eine Bühne auf eine Wiese und 2007 kamen 500 Leute. Dieses Jahr sind es schon über 2000. „Ein Leidenschaftsprojekt“, sagt Silke Grauenhorst. Man müsse zäh sein, um das Arbeitspensum wegzustecken.
Auch an den Gesichtern im Publikum ist zu erkennen, dass sie schon eine Nacht und an diesem Samstag die Kraft der Sonne wegstecken mussten. Müde Augen, verbrannte Haut, torkelnder Gang. Und an der Seite im Gras liegt ein Pärchen und schläft. Die beiden werden wohl zwei Tiere mit nach Hause bringen: einen Kater und eine Zecke.
Bei den „Skatoons“ füllen sich die Reihen langsam vor der Bühne, die meisten haben gegen 18 Uhr wohl ausgeschlafen. Oder vielleicht denken sie sich auch, bei literarischen Ergüssen wie „Ich werde Pornostar“ kann ja kein Mensch die Augen geschlossen halten. Also ab in den Moshpit, dieser tanzende Schmelztiegel vor der Bühne. Beim Pogo wird die letzte Nacht einfach ausgeschwitzt. Nur immer schön daran denken, die Flüssigkeitszufuhr nicht abreißen zu lassen. Hierbei hat das kleine Familienfestival seinen Schäfchen jedoch ein paar Steine in den Weg gelegt. Selbst Wasser dürfen die Besucher nicht mit aufs Festivalgelände bringen. Das machen die großen Brüder, wie etwa das Hurricane in Scheeßel, besser. Dort sind Tetrapacks auf dem Gelände erlaubt.
Nachdem Olli Schulz seine herrlichen Groove-Hymnen gespielt und den ironisch-arroganten Entertainer gegeben hat, kommt der Höhepunkt des Festivals, als langsam die Sonne untergeht und der Mond über dem Wäldchen sein Lächeln aufsetzt. Die Schweden von „Friska Viljor“ betreten die Bühne und man glaubt kurz, ein paar Waldschrate mit Instrumenten haben sich verirrt. Aber der Vollbart ist eben auch in der Popkultur wieder durchaus im Kommen. Mit viel Kopfstimme, Lalala-Kinderchören und Energie spielen sie theatralischen  Dance-Rock. Sie werden zu recht euphorisch vom Publikum gefeiert und sind davon selbst sehr berührt. Man lässt sie nicht ohne Zugaben ziehen.
Da mutet es fast etwas befremdlich an, als „Portugal. The Man“ im Dämmerlicht der Bühne eine eher distanzierte Show abliefern. Nach dem überbordenden Charme von „Friska Viljor“ verkapseln sich die Männer aus Alaska eher. Ihre Musik ist monumental und intensiv, funktioniert aber wahrscheinlich besser in einem Club als auf einem Festival.
Langsam kommt vom Berg die Kälte heruntergekrochen, die Reihen dünnen sich nach und nach aus und der Tross bewegt sich bald wieder auf den Zeltplatz. Im Schein der Taschenlampe erzählt man sich Geschichten über Musik, Hexen und Liebe, und manch einer fragt sich noch, warum er mit Absperrband eingewickelt ist und diese Hasenohren auf dem Kopf hat. Und dann fallen die Augen zu.

Braunschweiger Zeitung, 3. August 2009

Artikel als PDF-Datei

 

 

 

Das Festival in Bildern

Super 700

 

Olli Schulz

 

Friska Viljor

 

Portugal. The Man

 

Abseits der Bühne...

Fotos: Tim Meyer