Am Anfang kam ihr
der Gedanke abstrus vor

Schwester Magdalena Krol lebt bei den „Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung zu Olpe” gemeinsam mit 35 Frauen

An der Zimmertür 42 hängt ein Schild mit ihrem Namen - Sr. Magdalena. Hinter der Tür: ein Tisch, ein Sessel, ein Kleiderschrank, ein Bücherregal, ein Bett und ein kleines Bad. Rund zehn Quadratmeter. Zusammen leben, essen und beten 36 Frauen im Orden der „Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung zu Olpe".
Schwester Magdalena Krol ist als Regina in Sachsen Anhalt geboren. Vor 59 Jahren. An ihre Wände hat sie zwei bemalte Tücher gehängt. Ein bisschen versteckt neben dem Bücherregal steht ein Brett, das mit kleinen Andenken geschmückt ist. Steine, ein Kreuz aus Irland, eine Ikone aus dem 17. Jahrhundert, Ketten, Stickereien. „Ich mag kleine Dinge", sagt Schwester Magdalena. „Vollkommen ist nicht etwas, was üppig ist."
Im Regal stehen Bücher von Jane Austen. Sie liest die britische Autorin gerade gerne, weil die gesellschaftlichen Hintergründe der Geschichten so interessant sind. Als Frau musste man im 19. Jahrhundert heiraten. Bei Austen geht es aber auch immer darum, sein Leben selbst zu bestimmen. Etwas zu tun, was man wirklich will.
Das Mutterhaus, in dem Schwester Magdalena lebt, wirkt wie ein 250 Meter langes Schiff. Am Rand von Olpe gestrandet. Das Dach der großen Kapelle überragt den Rest des Gebäudes wie eine Brücke, in der ein Kapitän über den Kurs wacht. 1967 zogen die Schwestern ein. Vor zehn Jahren wurden die Zimmer im Kloster umgebaut und man machte aus zwei Räumen einen. Vorher wäre kein Platz gewesen, ein Bett quer hineinzustellen. „Ich habe das ausprobiert", sagt Schwester Magdalena und lacht. Beim Rundgang zeigt sie ein Zimmer, das sich noch im originalen Zustand befindet. Ein Schlauch von rund fünf Metern Länge, seitlich Bett, Tisch, Stuhl und Waschbecken, ein Fenster. Es erinnert an eine Zelle, nur steckt hier der Schlüssel innen.

In der DDR war die Kirche für sie ein Freiraum

Schwester Magdalena sagt, sie habe kein schlechtes Gewissen, in einem größeren Zimmer zu leben. Sie sei ein Kind ihrer Zeit und brauche einen gewissen Standard. „Ich würde mich in einem Schlafsaal nicht wohlfühlen." Mit 20 Frauen in einem großen Raum, Privatsphäre nur hinter einer Stellwand.
In den fünf Etagen des Hauses, auf den weiten, dunklen Fluren ist es einfach, sich zu verlaufen. Vor der Tür einer Schwester steht ein Rollator und irgendwo ist ein Fernseher zu hören. Als Schwester Magdalena vor 16 Jahren zum ersten Mal morgens ihr Zimmer verließ, fühlte es sich für sie an, als stehe sie direkt auf der Straße. Ein bisschen verloren. Aber damals, als das Gebäude vor 40 Jahren gebaut wurde, brauchte der Orden viel Platz. 80 Schwestern lebten hier fest, 80 weitere hielten sich für Exerzitien in Olpe auf. „Ich kann die Weite des Gebäudes genießen", sagt Schwester Magdalena heute. „Man kann auch mal von den anderen Abstand nehmen, ist nicht immer mit allen zusammen." Sie ist die Jüngste in Olpe. Die anderen 35 Franziskanerinnen haben ein Durchschnittsalter von 76 Jahren, die älteste ist 89.
Regina Krol stammt aus einem protestantischen Gebiet - soweit man eine religiöse Überzeugung in der DDR leben konnte - und lernte erst durch die Familie einer Schulfreundin den katholischen Glauben näher kennen. Während ihres Studiums an der Fachhochschule für Chemieingenieurwesen arbeitete sie in der katholischen Studentengemeinde. Sie sagt von sich, dass sie ein sehr rationaler Mensch ist. Sie wollte die Dinge immer verstehen. „Kirchen waren die einzigen Freiräume in der DDR", erzählt Schwester Magdalena. „Dort hat man das Denken gelernt." Nach dem Studium arbeitete sie zuerst als Gemeindereferentin und spürte: „Ich muss mich jetzt entscheiden." Ordensschwestern kannte sie nicht, aber sie hatte ein Buch über Franziskanerinnen gelesen. „Die Spiritualität kam mir so farbig vor." Es gab nicht diese Einteilung in gut und böse. Sie dachte daran, Ordensschwester zu werden, auch wenn ihr dieser Gedanke gleichzeitig abstrus erschien.
1973 tritt sie schließlich in Oschersleben in den Orden der „Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung zu Olpe" ein. Vor dem ewigen Profess - dem Schwur für die ganze Zeit des Lebens - legte sie damals ein auf fünf Jahre zeitlich begrenztes Gelübde ab und versprach Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Es ist anfangs ein Gelübde auf Zeit, weil es darum geht, sich freiwillig zu binden. „Man überlegt schon", sagt Schwester Magdalena. „Es ist nicht so einfach, sich in eine Gemeinschaft einzufügen." Manchmal kam es ihr damals eng vor.
Bereits in der DDR leitete sie sieben Jahre lang eine Pflegevorschule und übernahm 1986 die Noviziatsleitung, um Schwestern auszubilden. „Es kamen Frauen zu uns, die eine berufliche Basis hatten, aber nicht studieren konnten, was sie wollten." In dieser Zeit lernte sie auch, mit einem Säugling umzugehen. „Irgendwann dachte ich: Du wirst selbst nie Kinder haben", erinnert sie sich. Manchmal fehlte ihr ein Partner.
Die Wende war für die Franziskanerin ein Befreiungsschlag. 1992 kam Schwester Magdalena ins Mutterhaus nach Olpe, arbeitete später ein paar Jahre in Bonn und war von 1998 bis 2006 Provinzvikarin in Köln. Heute lebt sie wieder in Olpe und leitet Seminare für Frauen. Es geht um religiöse Impulse. Schwester Magdalena beeindruckt es, welche Offenheit in den Kursen herrscht und was sie dort an Lebenswirklichkeit erfährt. Für sie ist das auch aus einem anderen Grund wichtig: „Das Leben in einem Kloster ist ja manchmal eher begrenzt."

Sie lacht, als sie vergisst, sich zu verbeugen

Sie öffnet die Tür der Kapelle, die sie aufgrund ihrer Größe lieber Kirche nennt und kniet an der hintersten Bank kurz nieder. Ihr Blick geht dabei zu der Tabernakel-Stele an der rechten Seite des Altarraumes. Das Allerheiligste. In ihm, fest verschlossen, werden Hostien, der Leib Christi, aufbewahrt. „Die Verbeugung ist mehr ein Gruß", erklärt Schwester Magdalena. „Nicht immer fühle ich etwas bewusst dabei." Es ist einfach in ihr drin, ein Ritual. Sie lächelt und lacht oft, wenn sie etwas erzählt.
Hier, in dieser Kapelle, die mächtige Orgel im Rücken, vor dem Altarraum, der wie ein riesiger Kornspeicher 28 Meter in die Höhe gewachsen ist, beginnt der Tag der Franziskanerinnen. Morgens um 6.30 Uhr beten sie gemeinsam, feiern um 7 Uhr heilige Messe und gehen anschließend zum Frühstück. Später, nach dem Mittagessen, folgt das Mittagsgebet und vor dem Abendessen um 18 Uhr das Abendgebet. Schwester Magdalena steht um 5.30 Uhr auf und nimmt sich alleine Zeit für ein Gebet. Momente, um sich körperlich zu entspannen und die Beziehung zu Gott und Jesus zu vertiefen, wie sie sagt. Das sei eine transzendente Erfahrung, die Zeit brauche.
Der Orden der „Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung zu Olpe" wurde von Maria Theresia Bonzel 1863 gegründet. Begonnen hatten die Schwestern mit der Betreuung von unversorgten Kindern, später kam die Krankenpflege dazu. Zu Zeiten des Kulturkampfes um 1871 wurde ihre Arbeit in den Schulen verboten. Nur die Krankenpflege blieb erlaubt. Deswegen gingen 1875 die ersten Schwestern nach Nordamerika, um dort etwas aufzubauen. Später kamen auch Provinzen in Brasilien und auf den Philippinen hinzu. Auf seinem Höhepunkt hatte der Orden weltweit rund 2 300 Mitglieder, heute sind es noch etwa 650 Schwestern, doch in Deutschland bleibt der Nachwuchs aus. Aufgrund dieser Entwicklung wurde 1995 die Maria Theresia Bonzel Stiftung geschaffen, die heute Gesellschafterin der bereits 1902 gegründeten „Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe mbH" und aller 33 angeschlossenen Einrichtungen ist, die von dem Orden über die Jahre aufgebaut wurden. Die Intention der Stiftung ist, das Vermächtnis der Gründerin fortzusetzen, auch wenn es die Gemeinschaft einmal nicht mehr geben sollte.
Schwester Magdalena zeigt in der großen Kapelle auf einen Balkon und den dahinterliegenden Raum. Durch die farbigen Fenster scheint Licht. Dort, in der Anbetungskapelle, sitzen von 11 bis 20 Uhr abwechselnd die Schwestern und beten. Die personell möglichen Reste der ewigen Anbetung. In dieser kleinen Kapelle liegt ein Buch, in das die Menschen Gedanken eintragen können. Sie bitten um Gesundheit für ihr Kind oder dass die Tochter ihr Abitur schafft. Auf den letzten Seiten stehen Eintragungen zu den Naturkatastrophen in China und Birma. Schwester Magdalena selbst hat auch etwas im Buch hinterlassen, als ihr Vater krank wurde. Die Anbetung habe nichts Magisches oder Mechanisches. „Gott ist kein Automat, in den ich meine Gebete stecke", sagt sie. „Er lässt sich nicht bestechen." Es gehe darum, eine Situation zu bestehen.

Rituale stärken die Verbundenheit

Eine Glocke läutet. Immer fünf Minuten bevor das Essen, Gebete oder andere Gemeinsamkeiten beginnen, ertönt sie. Ein Ritual der Verbundenheit. Jetzt ist Mittag. Als wir die große Kapelle verlassen, verneigt sich Schwester Magdalena nicht. Darauf angesprochen, muss sie lachen: „Ich habe es jetzt einfach vergessen."
Und jetzt muss sie los. Ihre Schicht in der Anbetungskapelle fängt in ein paar Minuten an. Sie verabschiedet sich und verschwindet in der Dunkelheit eines Flures.

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Fotos: Tim Meyer

© Westfalenpost, 21. Juli 2008