„Spaß macht das Schreiben eigentlich gar nicht“

Heinz Strunk kommt nicht zur Ruhe. Vor vier Jahren feierte er mit seinem Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ einen großen Erfolg und jetzt lieferte er innerhalb kürzester Zeit zwei weitere Romane ab. In „Die Zunge Europas“ schildert Strunk sieben Tage im Leben des Comedy-Autors Markus Erdmann und nutzt seine Figur gleichzeitig, um seine Abscheu gegen flachen Mainstream-Humor auszudrücken. In „Fleckenteufel“ arbeitet er sich wiederum an einer Episode seiner eigenen Biografie ab und beschreibt die Erlebnisse des 16-jährigen Thorsten Bruhn auf einer zweiwöchigen, evangelischen Familienfreizeit. Eine Geschichte zwischen Selbstfindung, Alkoholexzessen, sexuellen Wirrungen und einem Kackproblem. Im Interview spricht Heinz Strunk über die Quälerei beim Schreiben und Wahrhaftigkeit in seinem Schaffen.

Sie haben mal gesagt, 80 Prozent der Schreibarbeit an einem Buch ist einfach nur energieraubend. Gibt es denn etwas, was Ihnen trotzdem Spaß dabei macht?
Heinz Strunk: Spaß macht das Schreiben eigentlich gar nicht. Das Buch „Die Zunge Europas“, an dem ich viel länger als jetzt an „Fleckenteufel“ geschrieben habe, war wie ein schwarzes Loch, das nur Energie absorbiert. Das ist mühsam und stark mit Versagensängsten verbunden.

Ein sehr unbefriedigender Prozess.
Strunk: Es ist wirklich keine Koketterie, wenn ich sage, dass die Arbeit die meiste Zeit einfach nur anstrengend und langweilig ist. Aber wenn die Sachen am Ende fertig sind, freue ich mich wahnsinnig über das Ergebnis und bin auch stolz darauf. Letztendlich finde ich eigentlich alles, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, wirklich gut.

War Ihnen „Die Zunge Europas“ aus literarischer Sicht wichtiger als „Fleckenteufel“? In dem Roman haben Sie viel mehr an der Sprache gefeilt.
Strunk: Ja schon, aber „Fleckenteufel“ sollte ja auch so klingen, als ob dass auch ein 16-Jähriger sagen könnte. Da muss man schlichter sein. Andererseits finde ich, der „Fleckenteufel“ ist fernab der Fäkalpassagen auch sehr gelungen. Als ich das Buch jetzt gerade wieder gelesen habe, dachte ich, wie schön, dass ich diese Episode meiner Biografie jetzt auch behandelt habe. Das Buch trifft meine damalige Stimmung, wie ich war, wie ich gedacht habe, sehr gut. Für mich ist die Literatur etwas, mit dem ich in die Vergangenheit abtauchen kann und dabei geht es eigentlich nicht um autotherapeutische Aspekte, sondern eher um ein melancholisches, sentimentales Gefühl beim Lesen.

Sie sagen, in „Fleckenteufel“ haben Sie eine weitere Episode Ihrer Biografie behandelt. Warum nennen Sie Ihre Hauptfigur dann Thorsten Bruhn und nicht Heinz Strunk wie schon in „Fleisch ist mein Gemüse“?
Strunk: Weil viel an der Geschichte fiktiv ist. Und es wird mir ja sowieso schon immer vorgeworfen, es würde sich alles nur um mich drehen. Die Geschichte des zu kurz gekommenen, depressiven Losers würde sich wie ein roter Faden durch die Bücher ziehen. Aber Markus Erdmann, die Hauptfigur in „Die Zunge Europas“, war ich ja so nie. Mit dem Buch wollte ich einfach meine Abscheu gegenüber Comedy ausdrücken.

Ist Ihr „Fleckenteufel“ wirklich eine Replik auf Charlotte Roches „Feuchtgebiete“?
Strunk: „Feuchtgebiete“ hat mich schon darauf gebracht, „Fleckenteufel“ in dieser Form zu schreiben. Ich habe mir ja eine gewisse Kernkompetenz in Sachen pippi-kacka-wichsi-schwuli Humor über zehn Jahre lang mit meinen Hörspielen erarbeitet und mit diesem Kapitel eigentlich abgeschlossen. „Fleckenteufel“ ist jetzt aber meine satirische Replik auf „Feuchtgebiete“, um noch einmal zu beweisen, dass dieses ganze Thema auch in lustig geht. Wenn es „Feuchtgebiete“ nicht geben würde, hätte ich „Fleckenteufel“ nicht in dieser Form geschrieben.

Wie hätte Ihr Roman denn ohne diese Steilvorlage ausgesehen?
Strunk: Es kann sein, dass ich das Thema christliche Freizeiten in irgendeiner Form verwurstet hätte, aber sicher nicht mit diesen Fäkalorgien. Das geht nur, weil ich es als satirische Replik verkaufe. Sonst wären mir die Pupswitze zu albern. Ich bin 46.

Was ist für Sie der Motor, kreativ zu arbeiten?
Strunk: Der Mensch ist dazu geboren, um zu arbeiten. Ich muss dafür sorgen, dass der Schornstein raucht. Aber ich hänge auch nicht an den Sachen. Ich habe hier mein Musikstudio, das steht seit viereinhalb Jahren unbenutzt rum. Es gab nicht einen Moment, in dem ich es vermisst hätte. Ich würde bestimmt auch das Schreiben nicht vermissen. Aber ich werde mein Leben lang irgendetwas Kreatives machen, allein aus dem einfachen Grund, weil ich nichts anderes gelernt habe.

Es gibt bei Ihnen keinen inneren Drang, sich künstlerisch auszudrücken?
Strunk: Nein. Ich kann auch einfach gar nichts machen. Momentan gehe ich jeden Abend weg und komme morgens um 7 Uhr besoffen nach Hause. Das reicht mir eigentlich. Es gibt keine Geschichten in mir, die unbedingt raus müssen. Aber irgendwann setze ich mich wieder hin und bin dann auch pflichtbewusst und diszipliniert.

Sind Sie eigentlich ein besonders ehrlicher Künstler?
Strunk: Der rote Faden der Wahrhaftigkeit zieht sich durch meine sämtlichen Arbeiten. Aber es gereichte mir nie zum Nachteil, weil ich vermeintlich viel preisgegeben habe. Im Gegenteil. Ich finde die deutsche Gegenwartsliteratur so entsetzlich langweilig, weil sich die Autoren hinter ihren Figuren verschanzen und kalt und unpersönlich schreiben. Thomas Mann ist seit hundert Jahren tot, jetzt muss doch mal was Neues kommen.

Thorsten Bruhn, die Hauptfigur im „Fleckenteufel“, erlebt eine Art Erweckungserlebnis, als er zum ersten Mal Charles Bukowski liest. War der Autor auch für Sie wichtig?
Strunk: Bukowski war mir sehr wichtig. Er war auch für mich eine literarische Initialisierung. Weg von den Schulbüchern und Fünf-Freunde-Romanen. Einer der wenigen, der offen und ehrlich war und auch Humor hatte. Ich denke schon, dass er mich beeinflusst hat.

Aber kann sich Wahrhaftigkeit am Ende beim Massenpublikum durchsetzen?
Strunk: Vielleicht gibt es auch einfach nur zu wenige Künstler, die mit Wahrhaftigkeit richtig umgehen können. Ich bin immer verblüfft, wie einfach das ist. Ich könnte gar nicht anders.

Wenn es also mehr wahrhaftige Künstler geben würde, wäre auch das große Publikum sensibler?
Strunk: Nein. Früher habe ich mal gedacht, ich könnte die Menschen für einen anderen Humor sensibilisieren. Aber heute weiß ich, man erreicht nur die, die schon auf der gleichen Seite stehen. Die sind dann aber auch froh, dass es einen wie mich gibt – oder Studio Braun, Helge Schneider und die Neue Frankfurter Schule. Wir sind wie ein gallisches Dorf, das Zuflucht bietet.

Gibt es denn Momente beim Schreiben oder wenn Sie später Ihr Buch lesen, die Ihnen zu persönlich geraten sind und die Sie vielleicht lieber universeller formuliert hätten?
Strunk: Ich kann nicht in allen Einzelheiten beurteilen, was von der Geschichte allgemeingültig ist und was nur meiner persönlichen Wahrnehmung entspricht. Wie etwa die Schilderungen im „Fleckenteufel“, sich in einem gewissen Alter sexuell sehr ambivalent zu fühlen und an Jungen und Mädchen interessiert zu sein. Ich vermute, dass es vielen anderen auch so geht, aber sicher bin ich mir da nicht.

Glauben Sie, ein Jugendlicher könnte für sich Antworten auf die verwirrende Pubertät in Ihrem Buch finden?
Strunk: Dazu kann ich gar nichts sagen, weil ich keinen Kontakt zu der Altersgruppe habe. Aber ich schreibe ja nicht aus pädagogischen Gründen. Es werden Fragen aufgeworfen, bei deren Beantwortung ich auch nicht behilflich sein kann. Dieses In-der-Welt-verloren-sein, diese Geworfenheit. Nicht wissen, was das eigentlich alles soll.

Ein Satz in Ihrem Buch trifft dieses Gefühl besonders gut: „Ich bin, als wäre ich nicht.“
Strunk: Ein anderer Satz drückt es auch sehr gut aus: „Ich schäme mich zu Tode, seit ich denken kann, und weiß nicht wofür, wird schon stimmen.“ Weil darin auch dieses diffuse Schuld-Ding steckt. Man ist Schuld, nur weil man auf der Welt ist. So vermittelt das doch auch die christliche Kirche und darunter hat meine Mutter stark gelitten. Dieses wahnsinnige Schuld-Ding.

Sind Sie gläubig?
Strunk: Glaube interessiert mich heute einen Scheißdreck. Aber bis 17 war ich schon gläubig. Wir waren ein christlicher Haushalt – mit Tischgebet und solchem Kram. Aber diese „Schuld“ hat sich leitmotivisch durch mein Leben gezogen.



Foto: Philipp Rathmer

Gekürzte Fassungen des Interviews:

Artikel als PDF-Datei

Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 5. März 2009

 


Artikel als PDF-Datei

Braunschweiger Zeitung, 2. Mai 2009

 

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